nd-aktuell.de / 23.09.2015 / Brandenburg / Seite 10

Personalmangel bremst Wachstum

Präsident des Bundesamtes für Migration: Zuwanderung allein ist kein Anlass für Euphorie

Wilfried Neiße
Angesichts des Zustroms junger Leute nicht nur aus Krisenregionen hofft die Wirtschaft auf ein Ende des Fachkräftemangels. Arbeitswilligen Ausländern soll der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden.

Der Fachkräftemangel in Brandenburg hat sich »schon längst zu einer Wachstumsbremse« ausgewachsen. Wie Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) am Montagabend vor dem 25. Berlin-brandenburgischen Unternehmerverbandstag im Dorint-Hotel in Potsdam sagte, müsse angesichts arbeitswilliger Flüchtlinge im Land Brandenburg das Instrument der »Einstiegsqualifizierung« weiter entwickelt werden. In den vergangenen zehn Jahren sei die Wirtschaft Brandenburgs durchschnittlich um ein Prozent im Jahr gewachsen, hatte Gerber kürzlich bekannt gegeben.

Frank-Jürgen Weise, der neue Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, teilte vor den Unternehmern mit, Ausländer seien zur Zeit die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der die Arbeitslosigkeit zunimmt. Handlungsdruck bestehe angesichts der Aussicht, dass nach 2025 zwischen drei Millionen und fünf Millionen Arbeitskräfte in Deutschland fehlen werden. Das führe zu einer »schweren Belastung der Sozialsysteme«, welche ohne geeignete Ausgleichsmaßnahmen »die Gesellschaft wahrscheinlich sprengen« würde. Das Fachkräfteproblem mache sich vor allem in solchen Branchen bemerkbar, die »junge Menschen nicht als erste Wahl haben«, sagte Weise und nannte ausdrücklich das Handwerk. Zwar würden viele junge Ausländer aus dem europäischen Ausland nach Deutschland ziehen, um hier zu arbeiten und zu leben. Doch in absehbarer Zeit werde die Überalterung etwa auch die südeuropäischen Länder vor Probleme stellen.

Bislang seien unter anderem junge Polen und Spanier nach Deutschland gekommen, deren Bildungsniveau »über dem deutschen Schnitt« liege, führte Weise aus. Bei den syrischen Flüchtlingen stünden die Dinge anders, und anfänglicher großer Optimismus sei hier der Ernüchterung gewichen. Rund acht Prozent der syrischen Flüchtlinge seien Akademiker, 20 Prozent im europäischen Sinne qualifiziert, der Rest sei zwar auch ausgebildet, ohne aber den formalen Standards in Deutschland zu entsprechen.

Angesichts der Tatsche, dass sich die Gruppe der Flüchtlinge zu 70 Prozent aus jungen Männern zusammensetze, die motiviert und risikobereit seien, müsse in Bildung und Qualifizierung investiert werden. Erst nach zehn Jahren könne damit gerechnet werden, dass hier etwas in die Gesellschaft zurückfließe. Das werde eine »große gesellschaftlich Anstrengung« erfordern, die »viel Geld kosten« werde. Als Problem benannte Weise, dass die ersten fünf bis neun Monate des Aufenthalts in der Bundesrepublik in vielen Fällen nicht zur sprachlichen oder beruflichen Qualifizierung genutzt werden, was die »Gefahr« mit sich bringe, dass die Integration erschwert werde. Der Bundesamtspräsident wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich um fleißige, motivierte, zupackende Menschen handle, deren Wille, etwas zu leisten, sehr groß sei.

Zum Thema Mindestlohn sagte Weise, der von der Bundesagentur für Arbeit kommt, Arbeitskräfte müssten so einsetzbar sein, dass Unternehmer mit ihren Waren diesen Lohn auch erwirtschaften. Es käme letztlich darauf an, dass der Kunde die 8,50 Euro für den Arbeitnehmer bezahlt. Mit Blick auf die Ausländer sagte Weise: »Das kann bedeuten, dass niedriger eingestiegen wird, zur Not zahlen wir Zuschüsse.«

Innerhalb der deutschen Bevölkerung müsse auf die Überalterung reagiert werden, forderte Weise. »Warum kann ein Jurist nicht bis 70 arbeiten?« Dem Problem körperlich verschleißender Tätigkeiten könne man mit dem Angebot eines »flexiblen Ausstiegs« begegnen. Weise griff auch das Wort »Sozialpartnerschaft« auf. Es sei in viele Sprachen nicht übersetzbar, aber unabdingbar für die Motivation, vielleicht länger zu arbeiten. Deutschland habe derzeit 31 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so viele wie noch nie. Allerdings seien derzeit rund eine Million junge Menschen in Arbeit, ohne eine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben. »Die sind gefährdet.« Das Programm zur berufsbegleitenden Qualifizierung erfasse etwa 60 000 junge Menschen. Aber: »Viele springen auch wieder ab.«