Keine Pause für Premier Tsipras

SYRIZA-Chef stellt 48 Stunden nach der Wahl sein Kabinett vor und reist sofort nach Brüssel

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 3 Min.
Wahlsieg, Koalitionsbildung, neues Kabinett - und dann gleich los zum EU-Sondergipfel über die Flüchtlingspolitik. Griechenlands Premier Alexis Tsipras macht Tempo.

Woher die konservative Budapester »Magyar Nemzet« ihre Informationen über Griechenland bezieht, ist nicht bekannt. Die Behauptung über den wiedergewählten Premier Alexis Tsipras, er interessiere sich nicht für »die Migrationsproblematik«, steht jedenfalls auf wackeligen Beinen.

Nicht nur hat der SYRIZA-Chef in der ersten Amtsperiode das Schicksal von Flüchtlingen und etwa die Frage der Staatsbürgerschaft für Asylkinder ziemlich prominent abgehandelt. Auch nach seinem Rücktritt forderte er unter anderem, das von der EU verschärfte militärische Vorgehen gegen Schleuser zu beenden, weil so vor allem Flüchtlinge gefährdet würden.

Nun, kaum 24 Stunden nach seiner erneuten Vereidigung, ist Tsipras schon wieder mit dem Thema befasst: Er wird am Mittwoch zum EU-Sondergipfel reisen, der sich mit der Flüchtlingspolitik der EU befassen soll - und eine Einigung im beschämenden Streit über die Verteilung von 120 000 Schutzsuchenden. Tsipras hat am Dienstag, noch vor der Präsentation seines neuen Kabinetts am späten Abend, konkrete Vorstellungen präsentiert: Er will die Flüchtenden nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft auf alle EU-Staaten zu verteilen.

Bevor Tsipras nach Brüssel reist, wollte er am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss) noch seine neue Regierungsmannschaft vorstellen. Die alte war auch deshalb in die Kritik geraten, weil kaum Frauen auf Ministerposten gekommen waren. In den griechischen Zeitungen deutete am Dienstag wenig darauf hin, dass SYRIZA aus dieser Kritik gelernt hat.

Nikos Voutsis, der in der ersten Tsipras-Regierung die Leitung des Innenministeriums innehatte, hat am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur ANA erklärt, es seien keine »drastischen Veränderungen« zu erwarten. Jedoch könnten einige Ministerien umgebaut werden.

Dem Vernehmen nach will Tsipras ein neues Amt schaffen, das die gesamten Aktionen der Regierung in Athen im Zusammenhang mit dem dritten Kreditprogramm koordiniert. Das Ressort könnte Giorgos Houliarakis übernehmen, er war bereits im Verhandlungsteam der vorigen Regierung und hat als Finanzminister in der Übergangsregierung amtiert. Houliarakis studierte in Athen und Großbritannien Ökonomie und war Professor in Manchester. Ihm werden gute Kontakte zum Zentralbankchef Giannis Stournaras nachgesagt.

Ein Ministerposten, der auf die Verhandlungen mit den Gläubigern ausgerichtet ist, dürfte auch der Zielsetzung von Tsipras entsprechen, die Frage der Schulden ins Zentrum der nächsten Bemühungen zu stellen. Man werde die Gespräche über Schuldenerleichterungen demnächst wieder aufnehmen, wird eine Quelle in der Zeitung »Kathimerini« zitiert. Denkbar sind etwa verlängerte Kreditlaufzeiten, niedrigere Zinsen oder ein verzögerter Rückzahlungsbeginn. Dies sei der »erste und wichtigste Kampf«. Man werde dazu »alle politischen Kräfte bitten, unsere Bemühungen zu unterstützen«, hieß es.

Es wurde auch erwartet, dass Efklidis Tsakalotos wieder das Amt des Finanzministers übernimmt. Giorgos Stathakis dürfte seine Rolle als Wirtschaftsminister fortsetzen, hieß es in Athen. Yiannis Dragasakis könnte erneut stellvertretender Premierminister werden.

Es hatte allerdings Spekulationen gegeben, er sei als Parlamentspräsident vorgesehen. Dieses Amt wurde inzwischen aber eher bei Ex-Innenminister Voutsis gesehen, der in der ersten Tsipras-Regierung die Leitung des Innenministeriums innehatte. Zivilschutzminister könnte erneut Yiannis Panousis werden, Yiannis Mouzalas dürfte wieder als für die Migration und Asylsuchenden zuständiger Minister agieren.

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