Schwestern streiten über Hoheitsrechte

Ungewisse Zukunft für ein Bremer Unikat: Die letzte eigenständige kommunale Polizei Deutschlands steht in Frage

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Bundesland Bremen, das aus zwei Städten besteht, ist manches anders als andernorts. So hat das kleinere Bremerhaven eine eigene, historisch entstandene Polizei-Hoheit. Bis jetzt jedenfalls.

Als nach der Bürgerschaftswahl im Mai in Bremen SPD und Grüne erneut eine Koalition bildeten, wurde wieder einmal angeregt, im Bundesland Bremen nur eine Polizei zu erhalten und die Bremerhavener in die Landespolizei Bremen einzugliedern. Das Ziel: Einsparungen durch Abbau von Doppelstrukturen. Der Köder für die Kommune Bremerhaven: Deren Haushalt sollte durch das Land von den Pensionszahlungen für die Polizei entlastet werden.

Wieder einmal führte der Koalitionsbeschluss zu großer Empörung Bremerhaven. Eine Initiative für den Erhalt der Polizei Bremerhaven sowie für die Eigenständigkeit der Schulen sammelte über 9600 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Zuvor hatte Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) bereits erklärt, die Idee der Zusammenlegung der Polizeien sei vom Tisch.

Doch die Entscheidung darüber wird nicht in Bremerhaven gefällt, sondern im Parlament des Landes Bremen, der Bürgerschaft. In Richtung Bremer Rathaus setzte Grantz denn auch nach: Bremerhaven dulde schon die Polizei-Hoheit Bremens über die Hafengebiete, im Gegenzug solle Bremen die Eigenständigkeit der Bremerhavener Polizei nicht antasten.

Die freie Hansestadt Bremen ist nicht nur das kleinste Bundesland, sondern auch das einzige, das aus nur zwei Städten besteht. Diese Schwesterstädte liegen 60 Kilometer von einander entfernt, jede bildet eine eigene Kommune. Laut letzter Volkszählung leben in Bremerhaven rund 100 000 Menschen und in der Stadt Bremen etwa 550 000. Die Landesregierung sitzt in Bremen; Bremerhaven hat ein eigenes kommunales Parlament. Und Bremerhaven, das an der Wesermündung liegt, blickt auf die einzige deutsche EU-Außengrenze - die Grenze in der Nordsee.

Solch eine Gemengelage führt zu komplizierten Strukturen mit gewissen Eigenarten. Eine davon ist die, dass Bremerhaven über die letzte eigenständige kommunale Polizei Deutschlands verfügt. Die Stadt Bremen hat keine eigene kommunale Polizei, sondern eine Landespolizei, die für das ganze Land - außer für das Stadtgebiet Bremerhavens zuständig ist. Teile des Hafens in Bremerhaven wiederum stehen unter Bremer Polizei-Hoheit.

Vor diesem Hintergrund plädiert Nelson Janssen, Neuling in der Bremer Landtags-Fraktion der LINKEN und zuständig für Bremerhaven, für ein sachliches Abwägen der Argumente. Im Gespräch mit dem »nd« meint er, die Befürworter sollten mehr und bessere Argumente bringen als nur den Hinweis auf Einsparpotenzial. Wobei er in diesem Punkt konkrete Vorschläge mit Substanz vermisst. Auf der anderen Seite sollten die Gegner mehr aufbieten als nur die Sorge um die Unabhängigkeit Bremerhavens. Auch sollte die geäußerte Vermutung, es gehe nur um die Unterstützung der Bremer Polizei, sachlich begründet werden.

Die spezielle Polizeistruktur geht auf die Entstehung Bremerhavens zurück. Bremer Kaufleute errichteten vor etwa 190 Jahren an der Wesermündung einen neuen Hafen, nannten das Gebiet schlicht »Bremerhaven« und stellten einen Amtmann sowie berittene Polizei ein. Zu einer Stadt wurde das Areal erst Jahrzehnte später durch Eingemeindung umliegender Ortschaften. Vor rund 150 Jahren bekam Bremerhaven dann eine Verfassung und damit die Polizei-Hoheit über das Stadtgebiet - mit Ausnahme des Hafens.

Diese Hoheitsrechte verlor Bremerhaven während der Nazi-Diktatur, bekam sie im Jahr 1945 von den Alliierten wieder zuerkannt. Ein Gesetz des Bremer Senats bestätigte 1947 die kommunale Selbstverwaltung Bremerhavens - einschließlich der Polizei-Hoheit.

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