Wie hältst du es mit der Post?

Die Delegierten des ver.di-Bundeskongresses diskutieren umstrittenen Tarifabschluss

  • Jörg Meyer, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf ihrem 4. Bundeskongress hatte ver.di Redebedarf zu den Tarifauseinandersetzungen der letzen Monate.

Der Wahltag beginnt. Während die Delegierten langsam am Morgen in den Saal strömen, läuft noch Pausenmambo aus der Beschallungsanlage: »Remember the Promise You Made« von Cock Robin aus dem Jahr 1985 und »You Drive Me Crazy« von Shakin’ Stevens aus dem Jahr 1981. In die Wahl der Musiktitel etwas Gedankenleitendes für den bevorstehenden Kongresstag zu deuteln, entbehrt sicherlich jeglicher Grundlage - ist aber ein interessanter Zeitvertreib, während die Halle 3 der Leipziger Messe sich füllt.

An diesem Dienstag zeigte sich, wie groß der Rückhalt ist, den ver.di-Chef Frank Bsirske in der Dienstleistungsgewerkschaft bei seiner voraussichtlich letzten Wiederwahl hat. 2011 beim letzten ver.di-Bundeskongress wurde er von 94,7 Prozent der Delegierten gewählt. Dieses Mal waren es rund sechs Prozent weniger. Zuletzt stand Bsirske wegen der Tarifabschlüsse bei der Post oder des von der Basis abgelehnten Schlichtungsergebnisses in den Sozial- und Erziehungsdiensten in der Kritik. Überdies: Nach seiner Wiederwahl bleibt Bsirske bis zum Alter von 67 im Amt. Dabei lehnen die Gewerkschaften die Rente mit 67 strikt ab.

Nach der Aussprache zum Geschäftsbericht wurde am Dienstag zunächst der Gewerkschaftsrat - das höchste (ehrenamtliche) ver.di-Gremium zwischen den Bundeskongressen - und dann ein neuer (hauptamtlicher) Bundesvorstand gewählt, mit dem Hannoveraner an der Spitze.

Mit etwas Verspätung lieferte Bsirske seinen mündlichen Geschäftsbericht 2011 bis 2014 ab, hob die Erfolge der Dienstleistungsgewerkschaft seit dem letzten Bundeskongress 2011 hervor. Und: Ver.di sei noch nie so gefordert gewesen wie im Jahr 2015. Allein zwischen Januar und Juli seien 1,5 Millionen Streiktage zusammengekommen - besonders durch die großen Auseinandersetzungen im Sozial- und Erziehungsdienst oder bei der Post.

In seiner 94-minütigen Rede ging der alte und neue ver.di-Chef am Anfang kurz auf die Post ein und gratulierte seiner zuständigen Vorstandskollegin Andrea Kocsis und den Streikenden, dass sie sich »behauptet haben«. Zu Erinnerung: Die Post hat eine Billigpakettochter mit 49 Filialen gegründet und tausende befristete Post-Beschäftigte mit festen Verträgen ins neue Unternehmen gezogen - zu teils deutlich niedrigeren Löhnen als bei der Post. Für ver.di ist das nicht nur ein Fall von Tarifflucht. »Der Post ging es auch darum, unserer ver.di das Rückgrat zu brechen«, sagte der Delegierte Walter Kloss. Und das hätte eine Signalwirkung gehabt »für alle Betriebe in Deutschland«. Tarifflucht und der Angriff aufs Streikrecht waren Themen, die in vielen Redebeiträgen auftauchten. Aber auch Kritik an den Kritikern des Tarifabschlusses bei der Post, diese seien entweder Streikbrecher, unternehmensnah oder Nichtmitglieder. Ach ja, und von den Medien erwarte man ohnehin nichts anderes. Kritik am Post-Abschluss, die ja auch intern zu hören war, war bestenfalls verhalten zu hören.

Dem Delegierten und ver.di-Linken Helmut Born fehlte der selbstkritische Blick. »Wir haben vieles erreicht und einiges nicht. Das lässt sich auch durch vernebelnde Prosa nicht verschleiern«, sagte Bernd Schumann aus Trier. Die Post habe sich lange vorher auf den Arbeitskampf vorbereitet, sagte Sieglinde Kowski, und was ver.di erreicht habe, sei »ohne Zweifel ein gutes Ergebnis - auf den zweiten Blick. Es muss uns in Zukunft wieder gelingen, dass wir Tarifergebnisse erstreiten, die auf den ersten Blick gut sind.«

An eine Einhaltung des Zeitplanes war schon nach den ersten zehn Kongressminuten am Montag nicht mehr zu denken. Der Grund: ein Geschäftsordnungsantrag und die Abstimmung darüber, die wegen des knappen Ergebnisses per Hand ausgezählt werden musste. Das dauert bei knapp 900 von 1009 gewählten am Montag anwesenden Delegierten nun mal ein Weilchen. Der Antrag wurde dann zwar abgelehnt, aber der ehrgeizige Zeitplan war Geschichte.

Die Aussprache zum Geschäftsbericht und die Entlastung des Gewerkschaftsrates und dessen Neuwahl dauerten bis zum frühen Dienstagnachmittag. Danach begannen die Vorstandswahlen - nach einer Debatte darüber, ob der Bundesvorstand verkleinert werden soll. Am Mittwoch sind die Abstimmungen zu den über 1000 Anträgen, mit denen die Gewerkschaft ihre Politik der nächsten vier Jahre bestimmt wird, dran.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal