nd-aktuell.de / 23.09.2015 / Wirtschaft und Umwelt

Volkswagenchef Winterkorn tritt zurück

Abgas-Skandal: Regierung wusste von Täuschungs-Software / Krisensitzung des VW-Präsidiums in Wolfsburg / Auch London fordert EU zu Untersuchung von VW-Skandal auf

Am Tag nach der Entschuldigung von VW-Chef Winterkorn schlägt in Wolfsburg die Stunde des Präsidiums. Die Fünferrunde muss schnell einen Weg aus der Krise weisen, um den weiteren Absturz der Aktie zu verhindern. Dabei geht es auch um die Zukunft des Vorstandschefs.

Update 17.10 Uhr: Volkswagenchef Winterkorn tritt zurück / Konzern erstattet Strafanzeige
Angesichts der Affäre um Abgasmanipulationen tritt Volkswagenchef Martin Winterkorn zurück. Als Vorstandsvorsitzender übernehme er die Verantwortung für die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren, erklärte Winterkorn am Mittwoch in Wolfsburg. »Volkswagen braucht einen Neuanfang - auch personell.« Mit seinem Rücktritt mache er den Weg dafür frei.

Er sei bestürzt darüber, was in den vergangenen Tagen geschehen sei, erklärte der 68-Jährige im Anschluss an eine Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums am Konzernsitz in Wolfsburg. »Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren«, fügte er hinzu.

Als Vorstandschef übernehme er jetzt die Verantwortung für die bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren. Er habe daher den Aufsichtsrat gebeten, mit ihm »eine Vereinbarung zur Beendigung meiner Funktion« als Vorstandsvorsitzender zu treffen. »Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin«, erklärte Winterkorn.

Winterkorn habe keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt, sagte Huber weiter. Das Präsidium des Aufsichtsrats habe Winterkorns Rücktrittsentscheidung deshalb »mit großem Respekt« entgegengenommen. Über die Vorschläge zur personellen Neubesetzung von Winterkorns Posten werde am Freitag im Aufsichtsrat beraten. Nähere Angaben machte er nicht. Als möglicher Nachfolger von Winterkorn ist Porsche-Chef Matthias Müller schon länger im Gespräch.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte vor den Journalisten, das Präsidium habe beschlossen, durch das Unternehmen Strafanzeige zu erstatten. Das Gremium habe »den Eindruck, dass strafrechtlich relevante Handlungen eine Rolle« gespielt hätten. Das Unternehmen werde dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für die Abgas-Affäre »hart belangt werden«. Zudem werde Volkswagen einen Sonderausschuss gründen, der die Aufklärung konsequent vorantreiben werde. Dabei solle auch auf externe Berater zurückgegriffen werden.

VW werde dafür sorgen, »dass diese Affäre vollständig und schnell aufgeklärt wird«, sagte Weil. Das Vertrauen in das Unternehmen müsse »sehr schnell« wieder hergestellt werden. »Das darf bei Volkswagen nie wieder passieren.« Niedersachsen hält 20 Prozent an Volkswagen.

Update 15.20 Uhr: Bosch weist Mitverantwortung für Abgas-Skandal zurück
Das betreffende Bauteil im VW-Skandal stammt von Bosch, doch der deutsche Autozulieferer weist jede Mitverantwortung für Manipulationen an der Abgaswermessung zurück: »Wir fertigen die Komponenten nach Spezifikation von Volkswagen, die Verantwortung für Applikation und Integration der Komponenten liegt bei VW«, erklärte das Unternehmen in der Süddeutschen Zeitung[1]. Zudem gehe aus den Unerlagen der US-Umweltbehörde EPA hervor, dass Volkswagen die für die Manipulation notwenige Software selbst programmiert habe.

Update 13.10 Uhr: Strafanzeigen gegen VW gestellt
Der VW-Konzern gerät wegen der Abgas-Affäre nun auch in Deutschland ins Visier der Justiz. Mehrere Bürger hätten aufgrund der manipulierten Messungen bei Dieselfahrzeugen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig erstattet, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums am Mittwoch in Hannover. Derzeit laufe die strafrechtliche Bewertung noch. Zum genauen Umfang und zu den in den Anzeigen formulierten Vorwürfen äußerte er sich nicht.

Update 12.00 Uhr: Grüne: Regierung wusste von Abschaltungssoftware / Umwelthilfe wirft Regierung Mängel bei Kontrolle von Abgaswerten vor
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, hat der Bundesregierung massive Nachlässigkeiten bei der Kontrolle von Abgaswerten vorgeworfen. Über Jahre hinweg habe die Regierung »kein einziges Mal die Angaben der Automobilindustrie kontrolliert«, sagte Resch am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. Lediglich die Unterlagen der Hersteller seien auf Plausibilität geprüft worden, Messungen habe es nicht gegeben.

Die Bundesregierung wisse zudem »seit vielen Jahren«, dass die Angaben der Hersteller zu den Emissionswerten deutlich von dem abwichen, was die Fahrzeuge tatsächlich in die Luft bliesen. Das Problem betrifft in Deutschland laut Resch nicht nur VW; »einige andere Hersteller« würden »das Gleiche tun«. Die Deutsche Umwelthilfe oder auch das Umweltbundesamt hätten die Regierung »fortwährend« auf die Diskrepanzen aufmerksam gemacht.

Auch die Grünen im Bundestag warfen der Regierung vor, mindestens seit Juli dieses Jahres von Abweichungen gewusst zu haben. Dies gehe aus einer Anfrage der Partei an das Bundesverkehrsministerium hervor, erklärte die Bundestagsfraktion. In der AFP vorliegenden Antwort der Bundesregierung heißt es, sie teile »die Auffassung der Europäischen Kommission, dass das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen sich in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt hat«. Eine Abschalteinrichtung zur Kontrolle von Schadstoffausstößen steht im Mittelpunkt der Affäre um Volkswagen.

Das Bundesverkehrsministerium wies die Vorwürfe zurück. Ihm lägen »keinerlei Erkenntnisse über den Einsatz von Abschalteinrichtungen vor. Andere geäußerte Vermutungen sind falsch«, teilte das Ministerium am Dienstagabend mit.

Update 11.00 Uhr: Auch London fordert EU zu Untersuchung von VW-Skandal auf - »Vertrauen in Abgas-Tests ist unerlässlich«
Im Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen hat auch die britische Regierung die Europäische Kommission zu Untersuchungen aufgefordert. Es sei unerlässlich, dass die Öffentlichkeit Vertrauen in Abgas-Tests für Fahrzeuge habe, erklärte am Dienstagabend Verkehrsminister Patrick McLoughlin. Er habe die Kommission in Brüssel aufgefordert, sich »dringend« darum zu kümmern.

Zuvor hatte auch Frankreich die EU zu Untersuchungen aufgefordert; andere Länder kündigten eigene Prüfungen an. Die USA leiteten strafrechtliche Ermittlungen gegen VW ein.

Volkswagen stattete seine Dieselautos mit einer Software aus, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt. Betroffen sind nach Angaben von VW elf Millionen Dieselautos weltweit.

Zivilklage gegen VW in Brasilien

Gegen Volkswagen ist in Brasilien eine Zivilklage wegen seines Verhaltens während der Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land[2] eingereicht worden. VW habe während der Diktatur in den Jahren 1964 bis 1985 die Folter und illegale Festnahme von Mitarbeitern hingenommen, begründete das Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation am Dienstag seine Klage in São Paulo.

Diesel-Skandal: Krisensitzung des VW-Präsidiums in Wolfsburg

Das fünfköpfige Aufsichtsratspräsidium von Europas größtem Autobauer Volkswagen berät in Wolfsburg bei einer Krisensitzung über Konsequenzen aus dem Diesel-Skandal. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochmorgen aus Teilnehmerkreisen. Der genaue Ort der Zusammenkunft blieb zunächst geheim. Nach dpa-Informationen findet das Treffen auf dem Werksgelände statt.

An der Sitzung nehmen der Interimsvorsitzende des Präsidiums, Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Großaktionärs-Vertreter Wolfgang Porsche sowie Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Stellvertreter Stephan Wolf teil.

Im Mittelpunkt stehen personelle Konsequenzen aus der Affäre um manipulierte Messungen beim Schadstoffausstoß von Dieselmotoren. Dabei geht es auch um die berufliche Zukunft von VW-Chef
Martin Winterkorn. Dieser steht infolge des Skandals, der nach Konzernangaben elf Millionen Fahrzeuge betrifft, massiv unter Druck. Die für diesen Freitag geplante vorzeitige Vertragsverlängerung für den bestbezahlten Dax-Manager ist nach wie vor ungewiss.

Am Dienstag hatte sich Winterkorn für die Manipulationen entschuldigt und eine umfassende Aufklärung angekündigt. Dabei hatte er aber auch deutlich gemacht, dass er seinen Posten nicht aufgeben möchte.

Unterdessen setzte sich am Mittwochmorgen an der Frankfurter Börse der Abwärtstrend der vergangenen Tage ungebremst fort. Die VW-Vorzugsaktien gaben um knapp fünf Prozent nach. Der Kurs der Titel hatte am Montag und Dienstag bereits rund ein Drittel eingebüßt.

Links:

  1. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/manipulation-bei-vw-bosch-weist-mitschuld-an-abgas-affaere-von-sich-1.2660932
  2. http://www.nd-aktuell.de/artikel/985490.festnahme-und-folter-zivilklage-gegen-vw-in-brasilien.html