nd-aktuell.de / 24.09.2015 / Kultur / Seite 16

Armer Teufel

Tonio Walter führt mit seinem Krimi in eine alte Villa oberhalb von Genua

Irmtraud Gutschke

Man könnte einen tollen Film daraus machen. Spannend, mit spektakulären Effekten und einem großartigen Finale. Der Autor liefert schon weitgehend das Bildmaterial. Tonio Walter hat offensichtlich Freude an opulenten Beschreibungen, gekonnt zieht er uns in sein Spiel. Das könnte beim oberflächlichen Lesen nur - aber was heißt »nur« - auf den Zweck der Unterhaltsamkeit gerichtet sein. Wenn man indes weiß, dass Tonio Walter, Jahrgang 1971, Professor für Strafrecht, als Richter tätig ist und sich auch in öffentliche Debatten einmischt, liest man das Buch womöglich anders.

Ablenkung von dröger Juristerei? Aber die ist dem Autor ja gar nicht dröge, wenn man bedenkt, wie aktiv er ist. In einem Aufsatz für die »Zeit« hat er sogar eine »seriöse Parapsychologie« erwähnt, »die durchaus schon telekinetische Phänomene unter Laborbedingungen dokumentiert hat«. Und in seiner Novelle geht es um einen deutschen Professor für Parapsychologie, der sich mit entsprechenden Phänomenen in einer italienischen Villa beschäftigen soll.

Wer das für weit hergeholt hält, dem sei gesagt, dass es hierzulande nicht nur Privatinstitute gibt, die diesbezüglich forschen, an der Universität Freiburg konnte man bis vor kurzem Parapsychologie als freiwilliges Zusatzfach studieren. Aber Professor Wiesthal im Buch zeigt sich uns eher als Detektiv, der, getreu dem Muster des klassischen Kriminalromans, dort ermittelt, wo die Polizei keine Verdachtsmomente sieht. Was sollte sie auch mit schwingenden Lampen anfangen oder mit Steinen, die durchs Fenster fliegen, ohne dass sie jemand geworfen hat? Da ist Wiesthal im Vorteil, weil er in seinem Denken nicht eingeschränkt ist. Doch erst einmal lässt auch er die Elektrik überprüfen und sucht nach Fußabdrücken. Das ist spektakulär, weil die Villa in Nervi oberhalb von Genua aus dem 18. Jahrhundert stammt und so prachtvoll ist, dass man gerne mit dem Professor die Räume inspiziert.

Und das Personal? Ein reicher Macho, Luigi Scalfaro, seine laszive Frau Donatella, eine zarte Vierzehnjährige namens Viola, deren Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam, und eine Haushälterin, die devot scheint, aber auch zur Pistole greifen kann. Sollen wir uns an den Klischees stören oder lieber genießen, was der Autor daraus so gekonnt konstruiert? Gut gelaunt, möge man sich für letzteres entscheiden. Doch darf man wissen: Es wird ernst, sehr ernst zwischen parapsychologischen Interventionen und Selbstjustiz. Am Schluss liegt da ein armer Teufel, übel zugerichtet. Er ist fürwahr ein Teufel gewesen, und das Strafrecht greift nicht, zumal auch vorher nicht von Gerechtigkeit die Rede sein konnte. - Wie mag es zugehen, wenn die Jurastudenten an der Uni Regensburg mit ihrem Professor über seinen Roman diskutieren?

Tonio Walter: Am sechsten Tag[1]. Protokoll einer Vernichtung. Novelle. Schöffling & Co. 176 S., geb., 18,95 €.

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