nd-aktuell.de / 25.09.2015 / Politik / Seite 8

Heben, stützen, umbetten

Pflegende Angehörige haben laut neuester DAK-Studie häufig Depressionen und Schmerzen

Silvia Ottow
Wenn am Freitag der Bundestag über neue Regelungen in der Pflegeversicherung berät, geht es kaum um die Angehörigen. Doch die betreuen 70 Prozent aller Pflegefälle und brauchen dringend Hilfe.

Die Familie ist Deutschlands größter Pflegedienst. Das bestätigt der Pflegereport 2015 der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. 70 Prozent aller Pflegebedürftigen - das sind in Deutschland rund 2,6 Millionen Menschen - werden zu Hause betreut. Zu 90 Prozent übrigens von Frauen und überwiegend ohne die Hilfe von Pflegediensten in Anspruch zu nehmen. Ein Drittel der pflegenden Frauen ist berufstätig, davon ein Fünftel in Vollzeit. Eine tröstliche Erkenntnis: Die Zahl der Männer, die sich an diesen Arbeiten beteiligt, ist zwar klein, aber sie wächst.

Rund 20 Prozent der Pflegenden leiden unter einer Depression, ergab die Krankenkassenstudie. Sie werden um zehn Prozent häufiger wegen psychischer Leiden behandelt, acht Mal öfter haben sie Depressionen. Jeder sechste von von ihnen musste sich 2014 wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen wie beispielsweise Rückenschmerzen in ärztliche Behandlung begeben. Nicht pflegende Menschen befinden sich deutlich weniger in solchen Krankheitssituationen. Für die Erhebung wurden die anonymisierten Daten von 500 000 Versicherten ausgewertet. Eine Gruppe von 12 000 pflegenden Angehörigen wurde mit einer ebenso großen Anzahl von Menschen verglichen, die diese Aufgabe nicht hatten. Auch die Angehörigen, die ihre Verwandten - seltener Freunde oder Bekannte - pflegten, sehen sich selbst sehr belastet. Die Hälfte von ihnen fühlt sich körperlich von der Situation überlastet, 68 Prozent leiden unter psychischer und 71 Prozent unter zeitlicher Überforderung. In jedem dritten Fall ist die gepflegte Person dement, dann wird die Belastung als noch höher angegeben. Allerdings wird in vielen Familien darauf verzichtet, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ob dies absichtlich oder aus Unkenntnis geschieht, ist nicht bekannt. 330 000 Menschen sollen in privaten Haushalten in der Pflege beschäftigt sein, die meisten davon illegal - wie Pflegewissenschaftler Thomas Klie sagt. Für den renommierten Forscher ist das Umfeld der Pflegefamilien entscheidend. Der Bedarf steige enorm, aber nur wenige Menschen seien bereit, die Pflegearbeit zu ihrem alleinigen Lebensthema zu machen. Am allerwenigsten übrigens Personen mit modernen Lebensauffassungen und guter Bildung in einem urbanen Umfeld. Klie plädiert daher für neue Ideen wie steuerfinanzierte Pflegearbeit in privaten Haushalten, kommunale Vernetzung oder betriebliche Pflegeeinrichtungen für die Mütter und Väter der Mitarbeiter. Willkommen im Elterngarten?

Die DAK versucht es zunächst mit einem Hilfsangebot, das allen gesetzlich Krankenversicherten zur Verfügung steht, die im Internet unterwegs sind. Sie schaltet einen virtuellen Pflege-Coach frei, der über alle wichtigen Fragen informiert, von den ganz praktischen bis hin zu rechtlichen oder gesetzlichen Problemen wie dem Ablauf einer Eingruppierung in die Pflegestufen. Es ist auch möglich, sich in einem Netzwerk mit anderen Angehörigen auszutauschen. Bei den aufgeführten Pflegeproblemen mutet das x-te Beratungsangebot wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein an, aber der Wissenschaftler Klie hält jede Hilfe für wichtig und gibt dem Internetportal angesichts der Altersstruktur der Pflegenden gute Chancen. Auch das Pflegestärkungsgesetz II, das am heutigen Freitag im Bundestag beraten wird, markiert für ihn einen richtigen Weg.

Das Gesetz stellt die Eingruppierung in Pflegestufen so um, dass auch Menschen mit Demenz in den Genuss von Leistungen kommen, will an der Personalbemessung etwas verbessern und Menschen, die Angehörige pflegen, diese Zeiten für die Rente anrechnen. Allerdings erfolgt dies alles in recht kleinen Schritten - die Erprobung der neuen Pflegegrade zieht sich beispielsweise bis 2020 hin, bemängelt Pflegeexpertin Elisabeth Scharfenberg von den Grünen. Pia Zimmermann von den LINKEN kritisiert die Reform als »Pflegereform light«.

www.dak.de/pflegecoach[1]

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  1. http://www.dak.de/pflegecoach