Schützende Hand über der Autoindustrie

In Deutschland sind Überschreitungen der Stickoxidgrenzwerte seit langem gängige Praxis - das Verkehrsministerium schaute weg

Deutsche Diesel-Pkw-Hersteller sorgen für schlechte Luft in den Städten. Aber haben sie auch die Tests manipuliert, die ohnehin äußerst lax sind?

Plötzlich ging es schnell: Wenige Tage nach der Ankündigung durch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, Dieselfahrzeuge in Deutschland überprüfen zu lassen, erklärte der CSU-Politiker, auch in Europa seien Fahrzeuge mit 1,6-Liter- und Zwei-Liter-Dieselmotoren »von den in Rede stehenden Manipulationen« betroffen. Das sei der von ihm eingesetzten Untersuchungskommission am Mittwoch von VW mitgeteilt worden, sagte Dobrindt am Donnerstag in Berlin. Nun wolle die Kommission mit VW herausfinden, um welche Fahrzeuge es sich im Detail handle.

Dass auch Europa betroffen ist, hatte VW schon vor Tagen im Grunde eingeräumt. Dobrindt muss aber Ergebnisse liefern, er steht wegen des Skandals um manipulierte Abgaswerte unter massivem Druck, auch persönlich: Die Grünen verweisen auf die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom Juli, wonach sein Ministerium »die Auffassung der EU-Kommission teilt, dass das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen sich in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt hat«. Offenbar wusste man von solchen Einrichtungen - auch wenn der Minister jetzt erklärte, sein Haus habe vom Einsatz einer Abgas-Manipulations-Software bei Autoherstellern nichts gewusst.

In der Fachwelt sind solche Vorgänge dagegen schon lange ein offenes Geheimnis: Bei vielen Katalysatoren würden Steuergeräte bei Vollgas die Abgasreinigung abschalten, um thermische Motorprobleme zu umgehen, erklärt ein ehemaliger Kfz-Mechaniker und heutiger Ingenieur, der namentlich nicht genannt werden will. Auch tricksten Motorrad- und Sportwagenhersteller bei den Lärmgrenzwerten mit manipulierten Auspuffklappensystemen.

Fragt sich nur, warum das dem Verkehrsministerium unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hier über Jahre untätig gebelieben ist. Dieses sei mittlerweile ein »Bettvorleger der Automobilindustrie«, meint die Deutsche Umwelthilfe. Die Kon-trollbehörde fungiere gleichzeitig als Dienstleister, der gegen Bezahlung bestimmte Dinge für die Autoindustrie erledige.

Die Untätigkeit des KBA wird umso auffälliger, wenn man den Vergleich zur US-Umweltbehörde (EPA) anstellt. Den Stein ins Rollen brachten in Sachen VW bekanntlich privat durchgeführte Tests der Nichtregierungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) - diese veröffentlichte ihre Ergebnisse auch in Deutschland.

An Untersuchungen mangelt es ohnehin nicht: Selbst der nicht gerade grün angehauchte Autoclub ADAC ermittelt bei seinen seit 2003 durchgeführten Prüfstandtests bei Dieselfahrzeugen »immer wieder Abweichungen von den aktuellen Euro-6-Grenzwerten«. Dabei seien die Grenzwerte um das bis zu 20-Fache überschritten worden.

Solche Einzelwerte allein sind wenig aussagekräftig, aber auch bei Durchschnittswerten sieht es nicht gut aus. Der ICCT hatte 2014 die Stickoxidemissionen von 15 modernen Diesel-Pkw unterschiedlicher Hersteller gemessen und dabei festgestellt, dass diese im Schnitt sieben Mal so hoch wie der gesetzliche Grenzwert lagen. Strafbar ist die Überschreitung - anders als in den USA - nicht, dies wäre erst der Fall, wenn Tests vorsätzlich manipuliert wurden.

Das ist jetzt die juristische Preisfrage. Trotz allgemein bekannter Überschreitungen war aus Sicht von KBA und Verkehrsministerium bislang alles im grünen Bereich, denn die gesetzlich vorgeschriebenen Tests ergaben nichts Auffälliges. Das Problem ist hingegen, dass diese wenig mit dem normalen Straßenverkehr zu tun haben. Der ökologisch orientierte Autoclub VCD weist darauf hin, dass der CO2-Ausstoß in der Realität um durchschnittlich 40 Prozent höher ist als bei den offiziellen Prüfungen. Dies ist gerade für deutsche Autohersteller essenziell: Da sie vor allem Mittel- und Oberklassewagen produzieren, schaffen sie die EU-Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß mit Ach und Krach - bei realistischen Prüfungen hätten sie ein gewaltiges Problem. Die Konzerne argumentieren, dass die Tests gar nicht die Realität abbilden, sondern nur für Vergleichbarkeit sorgen sollen.

Auf EU-Ebene wird allerdings über Änderungen diskutiert. In den kommenden zwei Jahren sollen, so will es die EU-Kommission, zwei neue Verfahren zur Ermittlung von CO2- und Stickoxidemissionen eingeführt werden: ein neuer Labortest, der ein »dynamischeres« Fahrverhalten abbilden soll, und ein weiterer Test, der mit mobiler Ausrüstung tatsächlich auf der Straße angewandt wird. Der Verband der Autoindustrie fordert für den Fall, dass tatsächlich realistischer geprüft wird, schon mal eine entsprechende Erhöhung der CO2-Obergrenzen. Die Bundesregierung, vertreten durch den Verkehrsminister, soll bei den Verhandlungen in Brüssel über die Einführung der neuen Verfahren immer als Bremser aufgetreten sein.

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