»Die Amazonisierung Europas verhindern«

Internationale GewerkschafterInnen trafen sich, um über gemeinsame Strategien im Kampf beim Onlinehandel zu beraten

  • Hannes Brockmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Ver.di will den Kampf für einen Tarifvertrag beim Online-Riesen verstärken. Unterstützung kommt von europäischen Schwestergewerkschaften und der Linksfraktion im Bundestag.

Viele Themen wurden diskutiert auf dem ver.di-Bundeskongress, der diese Woche in Leipzig tagte. Aber nur wenige drängten mit solcher Energie und Emotionalität auf die Agenda, wie der seit nunmehr zweieinhalb Jahren andauernde Arbeitskampf bei Amazon. Als die Delegierten am Montagmorgen ihre Debatten aufnahmen, waren bereits Tausende Beschäftigte des Onlinehändlers an sieben von neun Standorten des Konzerns, darunter auch Leipzig, in den Streik getreten. Erstmals beteiligten sich Kolleginnen und Kollegen aus dem Versandzentrum Pforzheim. Ver.di hatte dazu aufgerufen, die Arbeit die ganze Woche lang niederzulegen - auch das eine Premiere.

Nicht gestreikt wurde am Standort Brieselang, nahe Berlin. Auch in Koblenz, wo es bereits in der Vergangenheit zu Arbeitsniederlegungen gekommen war, verzichtete die Gewerkschaft auf Kampfmaßnahmen. Ver.di fordert von Amazon Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu den Bedingungen des Einzel- und Versandhandels. Das US-Unternehmen lehnt dies kategorisch ab.

In den Debatten des Kongresses wurde klar: Das Thema Amazon steht für ver.di weit oben auf der Agenda. Der Vorsitzende Frank Bsirske hob die Bedeutung des Arbeitskampfes hervor: Bei Amazon gehe es »um nichts weniger« als darum, »welche Kultur die Arbeitsbeziehungen künftig prägen soll: Die kollektiver Regelungen oder eine der Vereinzelung und des Ausgeliefertseins«. Für den Donnerstag war ein Besuch von Streikenden des Leipziger Versandzentrums angekündigt.

Unterstützung kommt auch vom internationalen Dachverband der Dienstleistungsgewerkschaften UNI Global Union. »Frank, mach Amazon zur Chefsache« rief UNI-Generalsekretär Philip Jennings dem ver.di-Vorsitzenden in seiner Grußansprache zu. Nur gemeinsam können die europäischen Gewerkschaften »die Amazonisierung Europas verhindern«. UNI ließ es aber nicht bei kämpferischen Grußbotschaften bewenden. Am Dienstag und Mittwoch trafen sich am Rande des Kongresses Gewerkschafter aus Polen, Großbritannien, Tschechien, Frankreich und Deutschland. Ziel war es, Erfahrungen auszutauschen und das weitere Vorgehen im Kampf um Beschäftigtenrechte bei Amazon zu planen.

Denn im Verlauf des Konflikts wird immer deutlicher, die Gewerkschaften haben nur eine Chance, wenn sie sich grenzübergreifend vernetzen. Beschäftigte aus verschiedenen Versandzentren in Deutschland berichten seit Monaten, dass Amazon Aufträge aus bestreikten Niederlassungen an andere Zentren verschiebt, auch ins Ausland. 2014 traten in Frankreich erstmals in der CGT organisierte Beschäftigte in den Streik. Es war bekannt geworden, dass der Konzern »Auftragsvolumen« aus bestreikten deutschen Centern nach Frankreich umgeleitet hatte.

Mittlerweile hat Amazon diese »Umschichtungen« ausgebaut und systematisiert: Ende 2014, also anderthalb Jahre nach Beginn des Arbeitskampfes in Deutschland, eröffnete Amazon drei Versandzentren in Polen - zwei in Wroclaw, eines in Poznan - mit insgesamt 6000 Beschäftigten. Seither wird bei Streiks in Deutschland kurzfristig Arbeit nach Polen umgeleitet. Die gewerkschaftliche Organisation in den jungen polnischen Betrieben ist noch schwach, aber im Aufbau begriffen: Sowohl Solidarnosc als auch die kleine anarchosyndikalistische Gewerkschaft »Inicjatywa Pracownicza« (»Arbeiterinitiative«) können erste Organisationserfolge vorweisen.

Von Streiks ist man in Polen zwar noch weit entfernt, aber unterhalb der Schwelle eines »richtigen« Arbeitskampfes gibt es bereits Beispiele informellen Widerstands: Als ver.di im Juni dieses Jahres wieder mehrere deutsche Standorte bestreikte, traten ihre polnischen Kollegen in Poznan in einen spontanen Bummelstreik. Die Geschäftsleitung hatte eine Verlängerung der Schichten von zehn auf elf Stunden angeordnet.

Auch die Gewerkschaften verstärken die Anstrengungen, um ihre internationale Vernetzung zu verbessern. Anfang Oktober veranstaltet die Bundestagsfraktion der LINKEN einen Ratschlag zu Amazon. Im Rahmen der Veranstaltung unter dem Titel »Amazon - Strategien für gute Arbeit und Tarifbindung« werden aktive Gewerkschafter aus verschiedenen Ländern zusammenkommen.

»Amazon - Strategien für gute Arbeit und Tarifbindung«, Tagesveranstaltung der Linksfraktion im Bundestag

3. Oktober, 9.30 bis 18.30 Uhr

Um Anmeldung wird gebeten unter karen.balke@linksfraktion.de

»Solidarität über Grenzen hinweg« Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Amazon-Beschäftigten und GewerkschafterInnen aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen sowie Linkspartei-Chef Bernd Riexinger. 3. Oktober, 19 Uhr Ort für beide Veranstaltungen: ver.di Bundesverwaltung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin

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