Werbung

Ausbildung statt Unsicherheit

Wie die Gewerkschaften Initiative für die Flüchtlinge ergreifen

  • Jörg Meyer, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Gewerkschaften unterstützen Geflüchtete und wollen ihnen Ausbildungsplätze und Sprachkurse verschaffen. In vielen Bereichen laufen Projekte an.

Der vierte Tag des ver.di-Bundeskongresses in Leipzig begann einmal mehr unplanmäßig. Bereits am Mittwoch hatte nach einer Rede von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Gewerkschaftsjugend die Bühne in der Leipziger Messehalle 3 geentert und von einem Besuch nebenan berichtet. In einer benachbarten Messehalle befindet sich eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete unter Regie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Die ver.di-Jugend berichtete von den Bedingungen und forderte, man möge Vertreter der Flüchtlinge auf dem Kongress sprechen lassen - mit Erfolg.

Unter großem Applaus sprachen dann zwei junge Männer aus Syrien und Marokko am Donnerstagmorgen zu Beginn des Kongresstages zu den knapp 1000 Delegierten. »Wir haben uns für Deutschland entschieden«, sagte der erste, »weil Deutschland für uns eine Insel der Freiheit ist, aber jetzt, wo wir hier sind, finden wir keine Freiheit.« Sie seien nicht hier, um Essen und Kleidung zu bekommen, sondern, sie wollen eine Zukunft. Das Problem ist aber, dass die rund 1200 Männer, Frauen und Kinder, die in der Halle leben, keinerlei Information bekommen, was mit ihnen geschehen soll. »Es gibt 36 Toiletten und acht Duschen«, erzählte der andere junge Mann. Man könne nicht schlafen, weil es so viele Menschen auf einem Haufen seien und die hygienische Situation in der Halle sei sehr schlecht. »Wir sind sehr dankbar, aber wir möchten wissen, was aus uns wird, niemand kommt zu uns. Wir möchten uns registrieren lassen und brauchen medizinische Versorgung.«

Spontan konnte die Gewerkschaft helfen. Neben Kisten mit Kinderbüchern überreichte ver.di-Chef Frank Bsirske einem Vertreter des DRK einen Scheck in Höhe von 10 000 Euro. Das Geld war für die Hilfe vor Ort bestimmt, deshalb war die Summe begrenzt. Alles über 10 000 Euro müssen die Ortsvereine an das Landes-DRK abführen.

Migration und Flucht sollen auch am heutigen Freitag eine große Rolle bei ver.di spielen. Die Gewerkschaft hat verschiedene Anträge zu diesen Themen auf der Tagesordnung. Der Antrag der Bundesjugendkonferenz beginnt mit den Worten »Eine vollwertige Mitgliedschaft in der Gewerkschaft darf nicht an Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsstatus geknüpft werden.« Kämpfe von Geflüchteten seien oft auch Arbeitskämpfe und müssten als solche anerkannt werden. Die Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt sei zu beenden.

In einer Mitteilung forderte die Dienstleistungsgewerkschaft am Donnerstag mehr Stellen zu schaffen bei Behörden und Institutionen, die mit der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen befasst seien. So müsse allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 3000 auf 9000 Stellen aufgestockt werden. Viele Beschäftigte dort arbeiteten »an der Belastungsgrenze und darüber hinaus«. Überdies müsse trotz des Personalmangels sichergestellt werden, dass Flüchtlinge »zeitnah und umfassend über ihr Verfahren informiert würden, sagte ver.di Vorstandsmitglied Wolfgang Pieper.

Die hohe Zahl an Flüchtlingen ist indes nicht nur bei ver.di ein Thema. In der Metall- und Elektroindustrie einigte sich die IG Metall jüngst in Sachsen und Nordrhein-Westfalen darauf, den «Tarifvertrag Förderjahr», der bislang für nicht ausbildungsreife Jugendliche galt, für junge Migranten zu öffnen. «Wir wollen die Integration von Flüchtlingen durch Qualifizierung ermöglichen und Ihnen einen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu berufsbezogenem Sprachunterricht in Sachsen geben», sagte Bezirksleiter Olivier Höbel. Die Regelung in Sachsen gilt ab dem 1. Oktober. «Man muss jetzt abwarten, wie sich das konkret entwickelt», sagte Sprecher Bodo Grzonka. Besonders für Sachsen sei das ein wichtiges Zeichen, wenn Unternehmen und Gewerkschaft «Hand in Hand für die Menschen arbeiteten». In Nordrhein-Westfalen will die IG-Metall-Bezirksleitung zusammen mit dem Goethe-Institut Sprachkurse anbieten. Die Räume im Gewerkschaftshaus, das in unmittelbarer Nähe einer Erstaufnahmeeinrichtung liegt, sind zugesagt. «Es fehlt jetzt eigentlich nur noch an ausreichend Lehrkräften», sagte ein Sprecher gegenüber «nd».

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hatte bereits Mitte September angekündigt, ihr Eingliederungsprogramm «Start in den Beruf» für junge Flüchtlinge zu öffnen. Unter anderem der für die Ausbildung notwendige Spracherwerb soll von den Chemieunternehmern finanziell gefördert werden, hieß es in einer Mitteilung. Überdies wolle man mit den zuständigen Arbeitsagenturen und Ausländerbehörden «eine enge Zusammenarbeit suchen», um Geflüchtete, die bereits eine Berufsausbildung absolviert haben, «so schnell wie möglich in Arbeitsverhältnisse zu übernehmen», hieß es weiter.

Vergleichbare Tarifregelungen bei ver.di gebe es seines Wissens nicht, sagte Sprecher Christoph Schmitz gegenüber «nd». Die Forderung sei aber «grundsätzlich, dass Berufs- und Schulabschlüsse schnell anerkannt werden», um einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Außerdem stelle ver.di Räume beispielsweise für Sprachkurse zur Verfügung und Betriebs- und Personalräte seien angehalten, sich dafür einzusetzen, dass Flüchtlinge auch Ausbildungsplätze bekämen. Auch böte die Einwanderung beziehungsweise die hohe Zahl von Flüchtlingen Chancen, dem Fachkräftemangel beizukommen. Da sind sich die genannten Gewerkschaften einig.

Der DGB fordert «praktische Schritte, um jugendliche Flüchtlinge als Azubis früh in den Arbeitsmarkt zu integrieren» und kritisiert, dass nun «Arbeitsverbote ausgeweitet würden, statt wie von Kirchen, Unternehmen und Gewerkschaften gefordert, für die Zeit einer Ausbildung plus zwei Jahre einen sicheren Aufenthalt zu gewährleisten.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal