Ohne Diesel wie die Wiesel

Hamburger Familienrennteam Arens: Seifenkisten sind das perfekte grüne Mobil

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Hinter allen kleinen und großen Jungs muss eine Frau stehen, die sagt, wo es langgeht, wenn aus einer Sache etwas werden soll. Als Nicole Arens in einem Hamburger Einkaufszentrum die Werbung für ein Seifenkistenrennen entdeckt, denkt sie sofort, »das wäre doch etwas für uns«. Schließlich hat sie zwei Söhne, einen Ehemann, und das Schrauben gehört ohnehin zur Freizeitgestaltung des Arens-Clans; in der Garage steht auch noch ein alten VW Bulli.

Folgerichtig schlägt die 41-Jährige, die als Assistentin in der Geschäftsleitung eines Unternehmens arbeitet, später zu Hause vor, sich für den Wettbewerb anzumelden. Die Reaktion ist anfangs bloß gedämpft enthusiastisch: Der neunjährige Friedrich weiß eigentlich nicht, ob er wirklich Lust drauf hat, während sich der drei Jahre jüngerer Bruder Hugo immerhin an sein Lieblingsbuch erinnert. Das heißt »Mein erstes Auto war rot«, und darin wird in bunten Bildern die Geschichte vom abenteuerlustigen Enkel und seinem erfinderischen Opa erzählt, die gemeinsam eine Seifenkiste zimmern.

Regelbremse bei 60 km/h

Seifenkisten sind aus Holz oder ähnlichen Materialien selbst konstruierte oder auch aus entsprechenden Bausätzen montierte Straßenkleinfahrzeuge. Sie sind selbst antriebslos und werden auf abschüssigen Strecken allein durch die Hangabtriebskraft bewegt. Rennen beginnen auf dem in der Regel um die 300 Meter langen Kurs von einer Startrampe. Das Kursgefälle liegt bei nur vier bis fünf Prozent, damit die Renngeschwindigkeit 60 km/h nicht übersteigt. Die Siegerin oder der Sieger werden aus der kürzesten Gesamtzeit aller Läufe ermittelt.

Vorläuferveranstaltungen mit »Kinderautomobilen« gab es in Deutschland bereits vor weit über 100 Jahren. Per Re-Export, nunmehr »Soap Box« (»Seifenkiste«) genannt, kam die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurück. Hier organisiert der Deutsche Seifenkisten Derby e.V. nationale Meisterschaften und andere Wettkämpfe. gra

Einen derart patenten Großvater können auch die Arens mobilisieren. Der 76-Jährige heißt Uwe und war früher Landmaschinenmechaniker. Und beim Gedanken an den erfahrenen Ruheständler, der sicher gerne in die Aktion einsteigen würde, hat sich am Ende auch der Lebensgefährte von Nicole Arens den entscheidenden Ruck gegeben. So erinnert sich der 41-jährige Kunstlehrer heute, beinahe drei Monate nach dem Event. Denn eigentlich war Alexander Arens innerlich erst ein bisschen zusammengezuckt, als ihm die praktische Dimension des Projektes klar wurde: gleich zwei Rennmaschinen zusammenbosseln für den hoffnungsvollen Nachwuchs, zwecks Anmeldung für den 3. Hamburger Seifenkisten Cup. Aber dann reizt ihn die Herausforderung doch zu sehr. Zumal ihm seine beiden älteren Brüder einfielen, die in den 80ern in selbst gefertigten Tretautos über den Nürburgring gekurvt waren. Er hatte damals als »noch zu klein« draußen bleiben müssen...

Abgesehen von diesem Nachholebedarf einer verpassten Seifenkistenkindheit beinhalten diese Gefährte für Alexander Arens auch eine wichtige Botschaft in unserer Zeit der Umweltsünden und -katastrophen. Der Tempowahn im Formel 1-Zirkus sei nicht zukunftsfähig, meint er. Demgegenüber könne man die motorlose Seifenkiste das quasi perfekte grüne Mobil nennen. Für dessen Produktion wollte Alexander Arens deshalb möglichst ausnahmslos recyceltes Material verwenden. Und dieser Plan lag erfreulicherweise auf einer Linie mit der Rennleitung, die nicht allein für die schnellste Seifenkiste Preise auslobt , sondern auch für die beste Ökoversion am Start.

Das ist übrigens ein gravierender Unterschied zu den Anfängen. 1904 trugen Fans in der Taunusgemeinde Oberursel einen ersten Wettstreit dieser Art aus. Die Fahrzeuge hießen vollmundig »Kinderautomobile«, weil sie den echten Sportwagen im Design möglichst nahekommen sollten. Eine deutsche Renaissance erlebten Idee und Praxis dann unter dem Eindruck der »Soap Box«-Rennen (»Seifenkisten«), die seit den 30er Jahren in den USA populär geworden waren. Später bewegte sich der Trend vom Bastel-Auto dann wieder stark in Richtung Bonsai-Boliden. Inzwischen gibt es aber ein Zurück zu den Seifenkistenwurzeln.

Und das nicht zuletzt wegen besagter ökologischer Richtlinien in der Wettbewerbsausschreibung. Beispielhaft sind da jene Komponenten, die Alexander Arens - tatkräftig unterstützt vom Senior Uwe - aus einem alten Regal (das liefert jeweils das Chassis) zusammen mit vielen leeren Tetra Paks zauberte. Die Getränkekartons liefern, einzeln aneinander gepappt, eine leichte und zugleich umweltverträgliche Fahrzeugverkleidung. Mehr Kiste geht also gar nicht!

Die beiden Renner der Arens-Söhne dürfen in dieser Hinsicht moderner Klassiker genannt werden, ohne Schnörkel, kompromisslos eckig. Die Wucht auf Rädern, mit klaren Botschaften. Formuliert auf dem einen durch aufgemalte grünen Reptilien, weil dies, das ist der ausdrückliche Wunsch von Pilot Friedrich (9), ein echtes »Rennkrokodil« sei. Das Gefährt von Hugo (6) sticht konstruktiv durch zwei kleinere Vorderräder und ein einzelnes, großes Hinterrad ins Auge. Obendrein ist es orange koloriert, die Lieblingsfarbe seines Lenkers, der auch den lustigen Namen vorgegeben hat: »Rennmöhre«. Die Jungs waren voll einbezogen in den Herstellungsprozess. Pädagoge und Vater Arens: »Sie sollen mitkriegen, wie eine Idee real Gestalt annimmt.«

Wochenland wurde im Hobbykeller gewerkelt, bis sich das Team Arens am ersten Juliwochenende der Konkurrenz stellt. In der Großen Bergstraße des Stadtteils Altona wartet ein Startgerüst, an die vier Meter hoch. Manch sonst vorlauter Dreikäsehoch kriegt oben plötzlich Bammel, und einer bricht tatsächlich den Start ab. Lässig steigen hingegen Friedrich und Hugo in ihre Flitzer, sausen vor 1500 Zuschauern die Rampe runter, machen Tempo, ungefähr 25 Stundenkilometer. Damit kommen sie zwar nicht aufs Siegerpodest, belegen aber in der Sonderwertung Recycling die Plätze eins und zwei.

»Cool« sei das Rennen gewesen, resümiert Friedrich. Und auch 2016 könne man auf ihn zählen. Die Seifenkisten sollten bis dahin allerdings klar schneller werden. Vater Alexander und Opa Uwe müssten also wieder ran. Echte Schrauber haben eben immer etwas zu schrauben - und sei es an Seifenkisten.

Weitere Infos zum Seifenkistensport in Deutschland mit Turnierterminen: dskd.org

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