nd-aktuell.de / 26.09.2015 / Politik / Seite 4

»Katalonien soll eine Referenz für Europa werden«

Quim Arrufat (CUP): Der neue Staat soll die Interessen der Leute vertreten, demokratische Beteiligung und soziale Gerechtigkeit ausweiten

Stehen wir vor einem Wendepunkt für Spanien und Katalonien?

Es ist mehr. Es ist das Referendum, das wir im spanischen Staat nicht abhalten dürfen. Er wird unsere Unabhängigkeit nie anerkennen. Es handelt sich um einen demokratischen Bruch.

Sehen Sie in Demokratiedefiziten den Grund, warum viele Spanien den Rücken kehren?

Klar. Es ist nicht so, dass uns die Regierungspartei nicht gefällt. Eine Mehrheit in Katalonien hat entschieden, nicht länger zu versuchen, etwas zu reformieren, was nicht reformierbar ist. Deshalb streben wir einen souveränen Staat an.

Ist Nationalismus nicht ungewöhnlich für Linksradikale?

Das mit Nationalismus zu brandmarken taugt nicht. Ein identitärer Diskurs ist praktisch aus der politischen Debatte in Katalonien verschwunden. Uns steht ein aggressiver spanischer Nationalismus entgegen. Der appelliert an die Abstammung derer, die einst zum Arbeiten kamen. Wir wollen eine gerechte und freie Republik für alle, egal welcher Herkunft, die alle demokratisch entscheiden. Von dem imperialen Spanien hat sich schon die halbe Welt befreit. Die bestimmenden Strukturen hängen dort noch in der Mentalität des Imperiums und der Franco-Diktatur. Das hat sich nicht geändert. Auf alle demokratischen Forderungen hört man nur: Nein, Nein, Nein.

Warum hat sich die CUP nicht der Unabhängigkeitsliste »Junts pel Sí« (Gemeinsam fürs Ja) angeschlossen, wie andere Linksparteien?

Wir wollten eine Liste ohne Parteien und Politiker. Das »Ja« sollte nicht mit der Vergangenheit etablierter Parteien, den Korruptionsfällen etc. in Verbindung gebracht werden. Das hat die CDC von Regierungschef Artur Mas verhindert. Wir tragen keine Liste mit Mas mit, der Kürzungsprogramme durchgezogen und die Polizei gegen Proteste und Streiks losgelassen hat. Unsere Stimmen und Sitze zählen zu den Unabhängigkeitsbefürwortern.

Umfragen sagen, die CUP werde mit bis zu elf statt drei Parlamentarier entscheidend sein …

… perfekt. Denn wir wollen entscheidend sein. Wir werden die demokratische Beteiligung ausweiten. Denn das ist die Garantie, den Unabhängigkeitsprozess auch in Zukunft zu verteidigen. Er muss weniger bezogen auf Personen und Parteien sein, dafür demokratischer und breiter.

Wo liegen rote Linien?

Mas und seiner CDC muss der Steuerhebel entrissen werden. Mit uns wird er nicht erneut Präsident. Es muss mindestens eine kollektive Führung in dem Unabhängigkeitsprozess geben.

Wie schätzen Sie die Wahlkampagne ein, in der stark versucht wurde, Angst zu schüren, dass die Renten nicht bezahlt werden könnten, die Banken schließen?

Das war eine reine Witzkampagne. Unsere Gesellschaft hat sich geändert. Sie können uns keine Angst mehr machen, denn wir glauben ihre apokalyptischen Szenarien nicht mehr. Umso stärker sich Banken, Monarchie, Kirche und Parteien in diesem Wahlkampf eingemischt haben, umso lächerlicher wurden sie in der demokratischen Konfrontation mit uns.

Welche Szenarien sind möglich?

Wir gehen von einer Mehrheit der Sitze und Stimmen aus, um den Prozess zur Eigenständigkeit zu beschleunigen. Dann werden wir die Republik gestalten, die eine Referenz in Europa werden soll, die Interessen der einfachen Leute vertritt, demokratische Beteiligung und soziale Gerechtigkeit ausweitet.