Im Schlaraffenland

30 Wolfsrudel und vier Paare leben derzeit in Deutschland

  • Reimar Paul, Wolfsburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wölfe sind zurück. Viele Menschen fremdeln noch mit dem neuen Mitbewohner. Befürworter beschwören »Sachlichkeit«.

150 Jahre waren Wölfe in Deutschland ausgerottet, nun sind sie wieder da. Als sich die ersten Raubtiere vor 15 Jahren in Sachsen ansiedelten, überwogen Neugier und Freude. Nach vermehrten Schafsrissen und dem Auftauchen in der Nähe von Wohngebieten scheint die Stimmung zu kippen. Mit einer Internationalen Wolfskonferenz am Wochenende in Wolfsburg wollte der Naturschutzbund gegensteuern und Möglichkeiten für eine gute Nachbarschaft von Wolf und Mensch ausloten.

Wie viele Wölfe gibt es genau? Diese Frage blieb bei der Konferenz unbeantwortet. »Wir zählen nicht die Wölfe, sondern die Familien und Paare«, sagte Ilka Reinhardt vom »Lupus«-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung. 30 Rudel und vier Paare sind derzeit nachgewiesen. Das Institut ist seit 2001 vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz federführend mit der wissenschaftlichen Datenerfassung über die Wölfe beauftragt. Es umfasst viele Methoden: Spuren lesen, Fotofallen aufstellen, einzelne Tiere mit Sendern ausstatten, genetische Analysen vornehmen oder Hinweise aus der Bevölkerung auswerten.

Reinhardt betonte, dass sich die Wölfe überwiegend von Wild ernähren. Das Angebot in den Wäldern an Rehen oder Damwild sei riesig und um ein vielfaches größer als in vergangenen Jahrhunderten: »Wölfe finden hier ein Schlaraffenland vor.« Gleichwohl stehen ab und zu auch Schafe und noch seltener ein Zicklein auf ihrem Speisezettel. 80 Schafe sollen im vergangenen, bereits mehr als 40 in diesem Jahr von Wölfen getötet oder verletzt worden sein.

Das ruft erboste Tierzüchter auf den Plan. So warnen Niedersachsens Schafhalter inzwischen vor »immer mehr Wölfen« oder fordern, wie für die Wesermarsch, sogar »wolfsfreie Zonen«. Bei einer Demonstration im Februar in Hannover legten wütende Züchter demonstrativ eine tote Heidschnucke vor dem Landesumweltministerium ab. Gleichzeitig bemängelten sie, dass das Land die Menschen nicht ausreichend über Wölfe informiere und Entschädigungsgelder für gerissene Schafe oder Ziegen zu langsam flössen. Die Schafrisse brächten fraglos Belastungen für die Tierhalter mit sich, räumte Elsa Nickel, Abteilungsleiterin Naturschutz im Bundesumweltministerium, bei der Konferenz ein. »Wir müssen daran arbeiten, dass Nutztier-Haltung trotz der Wölfe attraktiv bleibt«, sagte sie.

Auch in der Jägerschaft grummelt es. »Der Wolf gehört hierher«, sagte zwar der Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbandes, Andreas Leppmann. Doch dürften »Gefahren und Probleme nicht verharmlost« werden. Verhaltensauffällige Wölfe müssten »aus der Natur entnommen« werden, sagte er mit Blick auf einen jungen Wolfsrüden, der im Frühjahr durch das westliche Niedersachsen gestreift war und sich mehrmals Häusern und Ortschaften genähert hatte. »Das Töten eines einzelnen Tieres kann den Schutz der ganzen Art bedeuten.«

Gleichzeitig distanzierte sich Leppmann deutlich von Jägern, die Wölfe illegal abgeschossen haben. »Das ist und bleibt eine Straftat.« Doch während die organisierte Jägerschaft die Rückkehr der Wölfe offiziell noch begrüßt, schießen sich ihr nahestehende Medien auf die Tiere ein. Die »Jagdzeitung« berichtete kürzlich vom angeblichen Angriff eines Wolfes auf einen Jäger in der Lüneburger Heide. Und ein Lüneburger Wolfsberater beklagte, die Zeitschrift »Jäger« habe ihn falsch zitiert.

Im Programm nicht ausgewiesen, aber dennoch Thema in Wolfsburg war der Abgasskandal bei Volkswagen - der Autobauer kooperiert seit Jahren eng mit dem Nabu und hatte für die Konferenz seinen »Mobile Life Campus« zur Verfügung gestellt. Nabu-Präsident Olaf Tschimpke forderte den Konzern auf, als Konsequenz aus dem Abgasskandal einen Umwelt-Vorstand bestellen. VW habe nicht nur Verantwortung gegenüber seinen Gesellschaftern, sondern auch gegenüber der Umwelt. VW-Cheflobbyist Thomas Steg verzichtete auf sein angekündigtes Grußwort.

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