Jordanien fordert Solidarität ein

Flüchtlingskrise überlagert die UN-Debatte zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in ihrer ersten Rede vor den Vereinten Nationen seit fünf Jahren zur Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Vertreibung aufgerufen.

Mit einem eindringlichen Appell an die Weltgemeinschaft forderte der jordanische Minister Imad Nadschib Fachuri zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf. Sein kleines Land sei »überwältigt« von der Zahl der Flüchtlinge, die seit vier Jahren aus dem Norden ankommen. Deshalb könne von nachhaltiger Entwicklung keine Rede sein. Vielmehr stellten die rund 630 000 syrischen Flüchtlinge, die inzwischen zehn Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, eine wirtschaftliche Last dar, die sich auf Jordaniens Entwicklung »verheerend« auswirke. Zur Bekräftigung stellte Fachuri einen Vergleich an. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl müssten die USA 64 Millionen Menschen aufnehmen, die Europäische Union 100 Millionen, Japan 25 Millionen und China 280 Millionen.

Auch der libanesische Ministerpräsident Tammam Salam sagte am Samstag, die Entwicklung der eigenen Wirtschaft leide. Denn Libanon wende ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts für die Versorgung der Flüchtlinge auf.

Am Freitag hatte Papst Franziskus mit einer Rede den dreitägigen UN-Nachhaltigkeitsgipfel eröffnet. Darin forderte er die Staatengemeinschaft auf, neben der Umweltzerstörung weitere »Plagen« sofort in Angriff zu nehmen, etwa Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Sklavenarbeit einschließlich Prostitution, Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und internationale organisierte Kriminalität. Flüchtlingen und Migranten Zuflucht zu gewähren, hatte Franziskus in den Tagen zuvor mehrmals auf Messen, aber auch bei seinem Empfang in Weißen Haus wie in seiner Rede vor dem USA-Kongress angemahnt.

Flüchtlinge und Migration spielen in dem hochgesteckten Anspruchs- und Zielkatalog der UN, der globalen Agenda der Sustainable Development Goals (SDGs), nur eine Nebenrolle. Die SDGs bestehen aus 17 Zielen, die am Freitag von der Staatengemeinschaft beschlossen wurden, und 169 spezifischen Vorgaben. Obwohl die Nachhaltigkeitsziele in nichts Geringerem als der Beseitigung von Hunger und extremer Armut bis zum Jahr 2030 bestehen, findet sich die internationale Migration - geschätzte 200 Millionen Menschen - nur als eines von mehreren Unterzielen unter dem zehnten Ziel »ungleiche Entwicklung zwischen und in den Ländern überwinden« wieder. Beabsichtigt ist, »die geordnete, sichere, geregelte und verantwortliche Migration und Mobilität von Menschen zu ermöglichen, inklusive einer geplanten und gut geführten Migrationspolitik«.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel begrüßte bei ihrer Rede die SDGs: Die sogenannte Post-2015-Agenda liefere »genau den richtigen Rahmen« für die Bekämpfung der Fluchtursachen. »Sie vereint die ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte der Entwicklung«, sagte sie. »Wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung ist und bleibt Frieden«, sagte Merkel am Freitag beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel in New York. Die Kanzlerin versprach, dass die Bundesrepublik ihren Entwicklungshilfeetat in den kommenden Jahren »substanziell« erhöhen werde, um das Ziel zu erreichen, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für diesen Zweck auszugeben.

»Agenda 2030« ist zwar offizielles UN-Programm, leidet aber nicht nur an Auslassungen wie der im Bereich Migration und Flüchtlinge, sondern auch an Geld und Widersprüchen. So sind die SDGs wie schon ihr Vorgängerprogramm, die »Millenniumsziele«, nicht bindend. Die UN hat kein Mandat, ihre Einhaltung zu überwachen und zu sanktionieren. UN-kritische Vertreter von Nichtregierungsorganisationen wiesen darauf hin, dass sich manche SDGs sogar widersprechen, etwa die Forderung nach einem siebenprozentigen Wirtschaftswachstum in manchen Regionen, während gleichzeitig weniger Ressourcen verbraucht werden sollen.

Das linke New Yorker »Global Policy Forum« warnte in einer am Wochenende vorgestellten Studie vor dem zunehmenden Einfluss von Großkonzernen auf die UN. 40 Milliarden Dollar Jahresausgaben der Weltorganisation klängen nach viel Geld, sagte der Co-Autor Jens Martens, seien mit 2,3 Prozent der weltweiten Ausgaben für Waffen und Militär aber nur ein winziger Beitrag. Viele UN-Mitgliedsstaaten würden zu unzuverlässig in das UN-System einzahlen. Vor allem die Großen würden dabei selektiv vorgehen und nur die Programme unterstützen, die ihren und bestimmten Konzerninteressen dienlich sind. Die Co-Autorin Barbara Adams kritisierte, die UN propagiere zur Behebung der weltweiten Probleme selbst immer öfter »marktorientierte Ansätze« und koordiniere Programme mit Konzernen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon appellierte in diesem Sinne am Samstag auf einem Forum des Privatsektors an die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Er sprach vor mehreren Dutzend Konzernchefs, darunter den Bossen von Google, Unilever und Siemens. Unterdessen versprach der Facebook-Chef Mark Zuckerberg, das Flüchtlingselend mithilfe seiner Webseite lindern zu helfen. Er werde sich zusammen mit der UN für Internetzugang in Flüchtlingslagern einsetzen. Eine Summe und den Beginn der Datensammelei nannte er nicht.

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