nd-aktuell.de / 29.09.2015 / Politik / Seite 20

Elfjähriger lehrt die Mafia das Fürchten

Die Staatsanwaltschaft profitiert von den Aussagen, die Clans fürchten die Folgen

Wolf H. Wagner, Florenz
Der Sohn eines Mafiabosses sagt freiwillig über Strukturen und Geschäfte der ’Ndrangheta aus. Die Mutter hatte sich bereit erklärt, mit der Justiz zu kooperieren, um ihre Kinder zu schützen.

Er kann mit Waffen umgehen, kennt die Zusammensetzung von Drogenpäckchen, weiß, wie man Schutzgeld kassiert und kennt die Hierarchie des Clans. Und doch ist er kein Mafioso, sondern ein elfjähriger Junge aus Piano di Gioia Tauro, der all sein Wissen nun der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria mitteilen will. Er ist der Sohn von Gregorio Malvaso, Boss eines Arms des Belloco-Clans, der im vergangenen Oktober bei der Anti-Mafia-Operation »Eclissi« verhaftet werden konnte.

Bereits im Juni hatte sich die Mutter des Jungen und Lebensgefährtin Malvasos, Annina Lo Bianco, bereit erklärt, mit der Justiz zusammenzuarbeiten und ihr Wissen über die Clans mitzuteilen. Ihr Motiv: Sie will ihre Söhne vor der ’Ndrangheta schützen und verhindern, dass sie in die Mafiastrukturen eingebunden werden.

Einfühlsam vernahm die der Antimafiadirektion Kalabriens zugeordnete Stellvertretende Staatsanwältin Giulia Panato den Jungen. Der zeigte sich vollkommen kooperativ und berichtete, was er seit seinem siebten Lebensjahr gesehen und gehört hatte. Von Drogen- und Waffengeschäften seines Vaters in Messina, von Treffen der Clans Belloco-Cimato aus Rosarno und Pesce-Pantano, die im Hause Malvasos stattgefunden hatten.

»Wir kannten sie alle«, erklärte der Elfjährige und schloss damit den Kreis seiner Freunde in San Ferdinando ein. »Alle im Ort wussten, wer die Bossis sind, und wer zu den einzelnen ’Ndrine dazugehörte.« Genaue Details über Drogen und Waffenverstecke im Hause gab er ebenso bekannt wie die Telefonliste der Mafiosi: Er zeigte der Staatsanwältin sein Mobiltelefon, das noch vor kurzem der Vater genutzt hatte. Darauf ein komplettes Telefonverzeichnis der Clanmitglieder, die mit Malvaso in Kontakt gestanden hatten.

Solche direkten Aussagen aus dem Kern der Clans, wie sie nun Mutter und Sohn getätigt hatten, bedeuten für die kalabresische Mafia eine große Gefahr. Nicht nur das Personenverzeichnis, auch die Offenlegung der Handelswege bedrohen die Clans. Belloco gehört zu den einflussreichsten Organisationen des südlichen Festlands.

Die Macht des Clans reicht weit über Kalabrien hinaus. Verbündet mit etlichen Armen der Camorra beherrschen sie den Drogen- und Waffenhandel. Außer mit Pistolen und Sturmgewehren wird auch mit Kriegstechnik in Krisengebieten gehandelt, vom Granatwerfer bis zu gepanzerten Kriegsfahrzeugen ist alles am illegalen Markt erhältlich. Auch der landwirtschaftliche Vertrieb wird kontrolliert: eine Million Tonnen Obst und Gemüse für den Markt in Mailand, mehr als 9000 Beschäftigte und 400 Firmen von der Agrarwirtschaft über Transport bis hin zum Kistenbau stehen unter der Kontrolle der Clans. Ein Wirtschaftsimperium, das jährlich 50 Milliarden Euro umsetzt.

»Meine Söhne sollen nicht so enden wie ihr Vater, der eine Gefahr für die Gesellschaft ist«, erklärte Annina Lo Bianco ihre Bereitschaft, über die Machenschaften des Belloco-Clans und der verbündeten ’Ndrine auszusagen.

Dass sie und auch der Elfjährige sich selbst mit ihrer Aussagebereitschaft in Lebensgefahr begeben haben, dürfte beiden bewusst sein. Denn sie gehörten zum inneren Kreis des Clans, der nicht lange fackelt, Augen- und Kronzeugen zu beseitigen. Doch nur, wenn sich aus dem Kreise der Mafia Menschen lösen und sich gegen die Macht von ’Ndrangheta und Camorra stellen, besteht eine Chance, dass der Staat erfolgreich gegen das organisierte Verbrechen vorgehen kann.