nd-aktuell.de / 02.10.2015 / / Seite 25

Keine vaterlandslosen Gesellen

Hans-Jochen Vogel, Erhard Eppler und Wolfgang Thierse über sozialdemokratische Positionen und Kontroversen 1989/90. Von Karlen Vesper

Karlen Vesper

Es ist verwunderlich, dass ausgerechnet ER, der kürzlich verstorbene Doyen der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik, an diesem Band nicht mitgewirkt hat. Das Buch verließ vor seinem Tod die Druckerpresse. Man kann ihn nicht mehr fragen, er hätte sich gewiss auch diplomatisch zurückgehalten und höchstens off the record geantwortet. Dabei wurde gerade Egon Bahr wie kein zweiter Sozialdemokrat von Unionspolitikern und deren Journaille Anfang der 1990er Jahre mit unlauteren Vorwürfen attackiert: Er und sein Freund Willy Brandt hätten mit der Ostpolitik und den Black Channels nach Moskau die deutsche »Wiedervereinigung« über Jahrzehnte hinausgezögert. Bahrs gebetmühlenartig den Kritikastern entgegengehaltener Hinweis, »Der Schlüssel zur deutschen Einheit liegt in Moskau«, wurde verhöhnt. Dabei teilte Kohl diese Einsicht, weshalb er nicht schnell genug 1990 Gorbatschow seine Aufwartung machen konnte.

Den editorischen Hut hatte hier Hans-Jochen Vogel auf. Im Vorwort unterstreicht er das Anliegen, »mit Fakten zu belegen, welchen wesentlichen Beitrag die deutsche Sozialdemokratie zum Zustandekommen der deutschen Einheit geleistet hat«. Denn noch immer wird der ruhmreichen Sozialdemokratie das Etikett aufgeklebt, ein Verein »vaterlandsloser Gesellen« zu sein. Vogel konzediert, dass die Partei 1989/90 »infolge einander widersprechender Äußerungen mitunter ein sehr uneinheitliches Bild abgegeben hat«. Schuld daran seien »insbesondere unabgestimmte öffentliche Verlautbarungen des damaligen Kanzlerkandidaten« gewesen. »Die Partei insgesamt und ihre Bundestagsfraktion haben jedoch den Einigungsprozess keineswegs behindert, sondern ihn im Gegenteil kontinuierlich aktiv unterstützt und wichtige Anstöße sogar vor der Union gegeben.«

Hans-Jochen Vogel wäre nicht Bundesminister, nicht Regierender Bürgermeister von Berlin, nicht Kanzlerkandidat und nicht SPD-Fraktionsvorsitzender geworden, hätte ihn besondere Bescheidenheit ausgezeichnet. So ziert er sich auch nicht, vor allem seine Beiträge zur Einheit hervorzuheben. »Am 28. November spreche ich mich ebenso wie nach mir Kohl im Bundestag für eine Konföderation als Schritt auf den Weg zur deutschen Einheit aus.« Er habe auch viel früher als Kohl für den Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes geworben, der Kanzler erst nach Anhörung von Staats- und Verfassungsrechtlern am 5. März 1990. Andere Unionspolitiker, so Richard von Weizsäcker, votierten sogar noch bis in den Sommer hinein für Artikel 146. Zudem: Auch Unions- und FDP-Politiker hätten sich einst bei Erich Honecker die Klinke in die Hand gegeben. Vogel zitiert sodann aus Papieren von Fraktions- und Präsidiumssitzungen. Interessant sind die Einblicke in die heftigen Debatten im Parteivorstand, nicht nur mit Oskar Lafontaine. Während Johannes Rau, Hans-Ulrich Klose oder Klaus von Dohnanyi die Einheit stante pede proklamieren wollten, plädierten Bahr, Gerhard Schröder, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Walter Momper »auch aus Sorge vor einem Ausbruch nationaler Leidenschaften und einer Belastung des Verhältnisses zu unseren Verbündeten und unseren europäischen Nachbarn für eine größtmögliche Behutsamkeit«.

Vogel hat sich Erhard Eppler ins Boot geholt, der wie die Genossen seiner Generation stets die »Einheit im Hinterkopf« hatte. Er erinnert an die Stalin-Note von 1952, würdigt Brandts Ostpolitik, begründet die Notwendigkeit und Richtigkeit des SPD-SED-Dialogpapiers 1987 und verweist auf seine Rede am 17. Juni ’89, in der er den Kollaps der DDR innerhalb von zwei Jahren prophezeite: Man könne niemanden daran hindern, »sich selbst zugrunde zu richten«. Last but not least preist Wolfgang Thierse die (Neu-)Gründung der Sozialdemokratie in der DDR als »die radikalste Infragestellung der SED-Herrschaft« und lobt ein SDP-Plädoyer für die deutsche Einheit bereits im Januar 1990: »Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen.« Man vermisst im Buch indes ein klares Bekenntnis zur tatkräftigen Beteiligung westdeutscher Sozialdemokraten (stellvertretend sei hier nur Thilo Sarrazin genannt) an der beispiellosen Enteignung der Ostdeutschen.

Hans-Jochen Vogel/Erhard Eppler/ Wolfgang Thierse: Was zusammengehört. Die SPD und die deutsche Einheit. Herder. 286 S., geb., 19,99 €.