Bleibt der Sarkasmus

Houellebecqs »Unterwerfung« als Hörspiel

  • Ricarda Bethke
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Hörspiel mit gefährlichem inneren Monolog - was heißt das im Falle der Adaption von Michel Houellebecqs »Unterwerfung«? Das heißt zum Beispiel: Die provokante Grundkonstruktion des Romans, die Übernahme der Regierung in Frankreich durch die Koalition mit einer muslimischen Partei im Jahre 2022, wird noch einmal zur Diskussion gestellt.

Die äußere Handlung besteht für den Hochschullehrer François in der Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen Front National, den Linken, den identitären Nationalisten, den Konservativen und der Bruderschaft der Muslime. Verhindert wird dieser Krieg durch einen gewählten muslimischen Präsidenten. Einzelne Terrorakte tauchen vor den Wahlen auf, die eigentlichen Initiatoren werden nur vermutet. François kollaboriert mit den neuen Machthabern.

Im Hörspiel sollte epische Breite gestrafft werden. Regisseur Leonhard Koppelmann aber gibt der Breite in seiner zweiteiligen Produktion viel Raum. Das erklärt sich daraus, dass die Entwicklung eines Bewusstseins intensiv beschrieben werden. So unsympathisch diese Entwicklung ist, der Hörer wird sich selbstkritisch in einzelnen Momenten wiederfinden, etwa in François’ Sorgen um die eigene Sicherheit, in seiner mangelnden Liebesfähigkeit und völligen Vereinzelung. Der Text wirkt sarkastisch und fatalistisch. Er wird vom Schauspieler Samuel Weiss meistenteils in vor sich selbst erschrockenem Flüsterton vorgetragen. Kollegen, Politiker, Geliebte wirken mit, deren Sprache und Ansichten sind verdeckt karikiert.

François, ein Dozent für Literatur an der Sorbonne, ist sich seines geistigen Hochmutes, seines Egoismus, seiner Privilegien und seines Hedonismus bewusst. Er beobachtet sein eigenes Versagen. Eine Liebe zur jüdischen Studentin Myriam gibt er ohne Kampf auf, wie er eine gut abgefundene Kündigung akzeptiert. Der Tod der Eltern berührt ihn nicht, politischen Entscheidungen entzieht er sich durch die Flucht aufs Land und in ein Kloster. Gesellschaftliche Kontakte hält er eher zu den Oberen. Sein Geld deponiert er vorsichtshalber auf einer ausländischen Bank. Während am Anfang des Hörspiels seine Sprache verschwörerisches Flüstern ist, wechselt sie nach einer Phase der Apathie und des Überdrusses am Ende zur verlogenen Liebedienerei gegenüber den politisch gewendeten Herren, unterbrochen vom Schwärmen für deren kulinarische und sexuelle Genüsse. Schließlich spricht François in einem suggerierenden Futur. Er malt sich seine Zukunft aus; das Konvertieren zum Islam, die Polygamie, das hohe Gehalt und seine neuen, anspruchslosen Vorlesungen im ersten Studienjahr an einer durch Saudis kontrollierten Sorbonne. Sein kritisches Bewusstsein hat sich abgemeldet.

In ihrer Romanrezension (»nd« vom 15.1.2015) schrieb Lilian-Astrid Geese, Houellebecq warne »weniger vor einer bestimmten Religion, vor Religion im säkularen Staat oder vor autoritärem Regime an sich, als vor der Untätigkeit und dem Einknicken der Willigen«. Dieses Einknicken ist das bewusste und beschämte Aufgeben der Haltung einer aufgeklärten Intelligenz, wie sie auch gegenüber dem deutschen Nationalsozialismus zu beobachten war.

Er betreibe eine Beschleunigung der Geschichte, soll der Autor gesagt haben. Eine Dystopie ist das Hörspiel aber nicht, dazu ist vieles zu nah und konkret.

SWR 2, 8. Oktober, 22.03 Uhr (Teil 1, 89 Min.), 15. Oktober, 22.03 Uhr (Teil 2, 85 Min.)

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