Goldkörner im Staub des Gewöhnlichen

Die erstaunliche Sammlung Würth ist vier Monate lang im Gropiusbau zu bestaunen

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

Nachdem der Besucher von Henry Moores hoch aufragender »Large Interior Form« im Vestibül des Gropiusbaus begrüßt worden ist, taucht er ein in die fast fünf Meter breiten Jahreszeiten-Tableaus von David Hockney. Bekannt als Schöpfer von glamourösen Pool-Idyllen, welche die heile Welt des kalifornischen Eigenheims verklären, hat er sich spät der Landschaft zugewandt. Wie Monet vor seinen »Heuhaufen« malt Hockney direkt vor der Natur, also en plein air.

Im Kontrast zu Moores archetypischer Skulptur voller Harmonie verstört das hier prominent platzierte Skulpturenensemble seines bedeutendsten Schülers, Anthony Caro. »The Last Judgement Sculpture« (1995-99) thematisiert in drastischer Vergegenwärtigung die Gräuel des damaligen Balkankriegs, insbesondere im Kosovo. In Stahlkästen stapeln sich amorphe Gebilde sowie Schädel aus Steingut. Dazu blasen Kopffüßler, wie wir sie auch aus dämonischen Nachtbildern Max Beckmanns kennen, mit Posaunen zum Jüngsten Gericht.

Der Unternehmer und Kunstsammler Reinhold Würth besuchte Caro während der Entstehung von »The Last Judgement Sculpture« in seinem Londoner Atelier und erwarb diese komplett. Als anschaulichen Meditationsort über den Zustand der Welt hat Würth das »Jüngste Gericht« stets als ein Hauptwerk seiner Sammlung betrachtet. »Gerahmt« wird Caros unheimliche Inszenierung im gänzlich abgedunkelten Lichthof von schwarzen monumentalen Linolschnitten von Baselitz, auf denen Menschen und Adler allesamt labil nach unten stürzen.

Die einstimmenden Werke der 400 Exponate umfassenden Berliner Ausstellung sind insofern charakteristisch für das insgesamt rund 17 000 Kunstobjekte zählende Museum Würth, die demonstrieren, wie bedeutsam dem Sammler die Plastik ist. Kurator Peter-Klaus Schuster, ehemaliger Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, mutmaßt, dass es »wohl keinen bedeutenderen Bestand moderner Skulptur in einer deutschen Privatsammlung als bei Würth« gibt. Von Caro und Baselitz kann er regelrechte Werkblöcke sein Eigen nennen. So ist Baselitz mit 75 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafiken aus allen Werkphasen vertreten. Typisch für den Sammler ist der oft freundschaftliche Umgang mit den favorisierten Künstlern. Dies lässt sich etwa zu Alfred Hrdlicka, der ihn einst porträtierte, ebenso behaupten wie zu Anselm Kiefer, von dem gleich zwei Arrangements mit seinen legendären Bleibüchern vertreten sind: zum einen »Tannhäuser«, wo die Folianten mit wilden Zweigen geschichtet werden, zum anderen »Bibliothek mit Meteoriten«, wo die gewaltigen Bände von Bleigeschossen torpediert werden. Hrdlicka hat Würth oft in Wien besucht: Dessen Skulpturen beeindruckten ihn in ihrer monumentalen Kraft, wenn er wohl auch nicht immer deren politische Botschaften teilte.

Begonnen mit dem Sammeln hat der »Schraubenkönig« Reinhold Würth in den späten 1960er Jahren. »Aus dem Bauch heraus«, fühlte er sich magisch angezogen vom Nolde-Aquarell »Wolkenspiegelung in der Marsch« (um 1935). Im Jahr tätigt er Kunstankäufe für einen »siebenstelligen Betrag - mindestens«, verriet er neulich. Würth begreift seine Sammelpassion als essenziellen »Kontrapunkt zu meinem beruflichen Tun«. Wesentlich ist ihm die Dynamik gleichermaßen im Schraubengeschäft wie in seiner Sammlung. Ehernes Gesetz für den Firmenchef ist hingegen, dass einmal Erworbenes nicht wieder verkauft wird.

Es handelt sich beim Museum Würth jedoch um keine Privatsammlung im traditionellen Sinne, vielmehr ist sie von vorne herein für die Öffentlichkeit bestimmt. Im Jahre 1991 wurde in die Künzelsauer Firmenzentrale ein Kunstmuseum integriert, das nicht nur für die Mitarbeiter, sondern für alle zugänglich ist. Würth ist davon überzeugt, dass die Kunst ausstrahlt und das Selbstbewusstsein wie letztlich auch die Leistungsbereitschaft seiner 68 000 Mitarbeiter anfacht. Gezeigt wird die Würthsche Kollektion vornehmlich in Wechselausstellungen an den beiden Hauptstandorten Künzelsau und Schwäbisch-Hall, sowie an elf weiteren Museen und Kunstkabinetten, die ausnahmslos am Sitz der Würth-Gesellschaften in den jeweiligen europäischen Ländern von Dänemark bis Spanien angesiedelt sind.

»Viele Sammlerinnen und Sammler leisten aus einem hohen Ethos des Sammelns und Bewahrens heraus Pionierarbeit für die Rezeption nicht nur zeitgenössischer Kunst«, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Eröffnung der Ausstellung. »Sie finden die Goldkörner im Staub des Gewöhnlichen.« Würth beruft sich auf seine entschieden subjektive Auswahl, »von Museumsbeamten weniger beargwöhnt als beneidet« wie Kurator Schuster frotzelt. So finden sich nun im Gropiusbau neben eindrucksvollen Porträts sowie Landschaften von Max Beckmann, dem schwefelgelben »Brandenburger Tor« von Ernst Ludwig Kirchner sowie einem großen Konvolut von Werken Max Ernsts, abstrakte Kompositionen der eher unbekannten Maler Max Ackermann und Adolf Fleischmann.

Der Clou des Ausstellungs-Parcours: Die Besucher arbeiten sich im Krebsgang von der Gegenwart in die Renaissance zurück. Unbestrittener Höhepunkt dabei ist zweifelsohne Holbeins Schutzmantelmadonna, das teuerste, bislang in Deutschland - für gemutmaßte 50 Millionen Euro - erworbene Kunstwerk. Es ist aber auch ein Meisterwerk: Während Holbein die Madonna in leonardeskes Sfumato hüllt, meißelt er die Gesichtszüge des anbetenden Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen wie seiner Ehefrau Dorothea Kannengießer prägnant heraus. Das Gemälde kehrt gewissermaßen an seinen angestammten Ort zurück. Hatte es doch 1822 Prinz Wilhelm von Preußen für seine Ehefrau Marianne erworben, und seither war es im so genannten »Grünen Zimmer« im Berliner Stadtschloss verborgen, wie ein Aquarell von Eduard Gärtner belegt. Nun können die Besucher es vier Monate lang bewundern, ehe es dann weiterwandert als strahlender Mittelpunkt einer hochkarätigen Kabinettausstellung im Bode-Museum.

»Von Hockney bis Holbein. Die Sammlung Würth« ist bis zum 10. Januar 2016 im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Der Katalog kostet 32 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal