nd-aktuell.de / 10.10.2015 / Kultur / Seite 23

»Uns wird die Souveränität geraubt«

»Noch vor nicht allzu langer Zeit fand sich eine linkskritische Intellektualität, die sich gegen die Hegemonie des Ökonomischen über unsere Lebenswelt auflehnte. Mittlerweile sind deren Geistesverwandte selbst die führenden Ökonomen der Gegenwart - Piketty, Stiglitz, Krugman - und betreiben unter linkem Vorzeichen eine nächste Hegemonie der Ökonomie, nun der angeblich sozialverträglichen, aber auch sie bieten keinen Geistesfunken außerhalb von Wirtschafts- oder Geldpolitik.«

»Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein. Gegen die immer herrschsüchtiger werdenden politisch-moralischen Konformitäten. Ihre Farbe scheinen parlamentarische Parteien heute ausschließlich in der Causa Schwulenehe zu bekennen. Es ist, als gäbe man mit jeder libertären Bekundung, jeder Weisung politischer Korrektheit Verhaltensbefehle aus, denen die meisten Einwanderer nur nachkommen können, wenn sie sich von ihrem Glauben und Sittengesetz verabschieden und also eine weitere Entwurzelung hinnehmen müssen. Die Überprofilierung von Freiheit, von Zulassen und Gewähren enthält unausgesprochen die Drohung, der Willkommene habe sich säkularisiert zu verhalten oder wenig Chancen, ein integrierter Bürger dieses Landes zu werden.«

»Nun, was kann den Deutschen Besseres passieren, als in ihrem Land eine kräftige Minderheit zu werden? Oft bringt erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung. Dann erst wird Identität wirklich gebraucht.«

»Man wird verdrängt nicht mehr von avantgardistischen Nachfolgern, sondern von grundsätzlich amusischen Andersgearteten, Islamisten, Mediasten, Netzwerkern, Begeisterten des Selbst.«

»Das Kopftuch sei Zeichen von religiöser Selbstverwirklichung einer Frau, so eine gütige Angehörige der Grünen. Trefflicher kann man sein verständnisvolles Unverständnis nicht in Worte fassen. Man muss eben auch den rituellen Gehorsam in die Sprache der Emanzipation übersetzen.«

»Die Sorge ist, dass die Flutung des Landes mit Fremden eine Mehrzahl solcher bringt, die ihr Fremdsein auf Dauer bewahren und beschützen. Dem entgegen: Eher wird ein Syrer sich im Deutschen so gut bilden, um eines Tages Achim von Arnims «Die Kronenwächter» für sich zu entdecken, als dass ein gebildeter Deutscher noch wüsste, wer Ephraim der Syrer war.«

»Dank der Einwanderung der Entwurzelten wird endlich Schluss sein mit der Nation und einschließlich einer Nationalliteratur.«

Alle Zitate aus dem Artikel von Botho Strauß im »Spiegel« (41/2015)