nd-aktuell.de / 13.10.2015 / Kommentare / Seite 3

Formel 40-25-10

Tom Strohschneider über bundespolitische Stagnation, drängende Herausforderungen und eine Lücke, die links niemand füllt

Tom Strohschneider

40-25-10. Das ist keine Geheimzahl, sondern Formel einer bundespolitischen Gesamtlage, die droht, zum Dauerzustand der Demokratie zu werden. Die drei Zahlen stehen für die Umfragewerte von Union, SPD und Linkspartei - und könnten im Herbst 2013 veröffentlicht worden sein. Oder im Frühjahr 2014. Oder sie erscheinen in der nächsten Woche. Es sieht nicht danach aus, dass sich am Abbild der Wählerpräferenzen so bald etwas Gravierendes ändert. Die Grünen kommen übrigens auch nicht vom Fleck. Wenn man überhaupt von einer Bewegung reden wollte, dann von einer nach rechts.

Das ist nicht zuletzt ein Problem der LINKEN. Sie ist derzeit nicht in der Lage, wirksam an der parteipolitischen Stagnation zu rütteln. Sie verfehlt damit nicht nur den Selbstanspruch, die Interessen einer Mehrheit zu vertreten. Die Linkspartei vermag es auch nicht, die öffentlichen Debatten klassenpolitisch zu wenden - weder beim Thema Griechenland noch in der angeblichen »Flüchtlingskrise« ist es ihr gelungen, das Moment zu nutzen und einen alternativen Blick auf die Verhältnisse zu popularisieren. Zum Beispiel einen, der darum weiß, dass es »eine gemeinsame Sache« der griechischen Staatsangestellten, des syrischen Flüchtlings und der Berliner Kitaerzieherin gibt.

40-25-10 ist ein Abbild dieser Schwäche. Es ist auch keine Nebensächlichkeit, wenn die Linkspartei auf einem Niveau stagniert, das mit den gesellschaftlichen Herausforderungen nicht Schritt hält. Es gab Zeiten, vor einigen Jahren, da war es en vogue, vom Gebrauchswert der Partei zu reden. Worin könnte der auf Bundesebene bestehen?

Sozial-ökologischer Umbau der Industriegesellschaft, Neuverteilung der bezahlten Erwerbsarbeit und der unbezahlten Reproduktionsarbeit sowie der Einkommen, Entfesselung anderer gesellschaftlicher Innovationsmechanismen als die der privaten Warenproduktion, Demokratisierung aller Lebensbereiche, Überwindung von Mechanismen jedweder Form der Ausgrenzung und Ungleichbehandlung - all das duldet keinen Aufschub. Eigentlich. Weshalb? Weil die Konsequenzen immer drastischer werden, wenn es doch aufgeschoben wird. Ein Lager des emanzipatorischen Fortschritts existiert nicht, kommt jedenfalls nicht zusammen. Und das in einer Zeit, die mit einigem Recht als Wendepunkt des Politischen in Europa bezeichnet werden kann. Die Nachrichten in dieser Zeitung sind dafür jeden Tag ein augenfälliger Beleg. Wo ist die gesellschaftliche Linke?

An den real existierenden Verhältnissen etwas zu ändern, ist der gemeinsame Nenner der Linkspartei. Umso größer ist ihr Problem, wenn sich nicht einmal mehr der demoskopische Abdruck dieser Verhältnisse ändert - und zwar sowohl für die, die meinen, jede Veränderung wird vor allem von Demonstrationen und Streiks getragen, als auch für jene, die einwenden, eine Regierung könne auch etwas erreichen, weshalb man sich beteiligen möge, sollten die Voraussetzungen stimmen.

Richtig ist: Sie stimmen nicht. 40-25-10 ist auch für diese Malaise eine Formel - und das liegt zuerst an der SPD. Darauf hinzuweisen freilich füllt allein noch nicht die Lücken der LINKEN. Das müsste die schon selber tun.