Das Leben ist schön

Poesie: Frederike Frei

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Über die wirkliche Exotik unseres Lebens gibt es keine eindeutigen Maximen. Besingt einer das Licht, möchte man einwerfen: Ich kehre dem Licht den Rücken - ich will schließlich was sehen. Und wer Irrwege beklagt, möge bedenken: Schuld am Irrweg ist das schöne Gelände - das wusste schon Rotkäppchen. Frederike Frei, die 70-jährige Dichterin aus Brandenburg, beschreibt die Lebenstechnik dieses fortwährend möglichen Wechsels von der Seite zur Kehrseite so: »irgendwas steht/ zwischen uns// wahrscheinlich/ die Wahrheit.« Wahrheit? Rasch gibt sich das Gedicht eine unabdingbare Fußnote: »Die Wahrheit ist eine Not - Zur Not gibt es die Lüge.« Zur Wahrheit die Lüge, zur Erkenntnis das Entfremden. Zum Weltbild, das sich alles zurechtrückt ins Durchschaubare: das Sternenbild - ein Blick hinauf, und alles ist wieder geradegerückt. Ins Undurchschaubare.

Die Gedichte bestehen aus einer geradezu naiven, aber klaren Sprache, die von wichtigster Erfahrung erzählt: Wer intensiv lebt, bewältigt Tag um Tag weniger Welt; wir vollenden uns, wenn wir das Wesen wirklicher Freiheit begriffen haben - in Begrenzung. So wie in der Wissenschaft der Weg zu den Teilchen die Voraussetzung war, um Genaueres vom Ganzen zu erfahren, so gelangen wir zu uns selber nur über den Mut zu genussreicher Einschränkung. Und also nähert sich Frederike Frei der Balance des Universums, indem sie Gedichte schreibt über das, was dieser Balance zuarbeitet: Gänseblümchen, Butterblumen, Fuchsie, Flieder, Hyazinthe. Natur beobachtend, als befände sich der Blick in einem Roman. Das Auge »hockt hier in Märchenhaft«.

Da schreibt also eine Dichterin: »Immer hab ich Lust auf alles./ Schrecklich./ Immer freu ich/ mich voll. Grausig. Alles macht Spaß.« Es ist, als fürchte sie sich vor Bejahung, kann aber der Lust am Leben nicht ausweichen. In solcher Zeit, jetzt! In solch grassierendem Elend der Gesellschaften! Ja und noch einmal Ja.

Jeder Sorgeseufzer produziert immer auch sein Gegenteil, den Lustschrei. Der ist der wehrhafteste Kämpfer, der sich inmitten der Kälte mit Liebenswürdigkeit wappnet. Frederike Frei: »Ich bin froh/ arm zu sein// Aber reich genug/ um froh zu sein«. Ihre Gedichte sind ein metaphernprustendes »Wort zum Alltag«. Wortschöpfungen verblüffen: »Erynnerung« oder »Herzspitze Süden« oder »Waldhonigaugen«. Als träfe Uwe Gressmann auf die Laske-Schüler. »Bürgerlichkeit«, wie gallig erfasst: »Hinter dem Gitter:/ Warten auf Durchbruch// Der Entschluß/ Brüllt auf// Das Gewissen hält/ Eisern durch«. Ich gestehe Getroffenheit. Auch, weil die Dichterin von sich sagt: »Ich richte/ die Nazis, ich frage sie nie«, auch, weil sie bekennt, sie schreibe »nur für den Hausgebrauch«. Dies Beschriebene: Ist es nicht genau jenes Begradigungsdelirium, in dem wir alles so lebensrettend erträglich finden dürfen? Und damit uns selber mitunter verflucht unerträglich werden? Schnell zu den Blumen! Das Leben ist schön.

Poesiealbum 319: Frederike Frei. Auswahl: Helmut Braun. Grafik: Ulrike Schmidt. Märkischer Verlag Wilhelmshorst. 32 S., 5 €.

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