nd-aktuell.de / 17.10.2015 / Kultur / Seite 9

Eintausend Seiten Weltliteratur in zehn Minuten

Playmobilfiguren spielen die Szenen wichtiger Wälzer nach

»Krieg und Frieden« ist zu lang zum Lesen? »Moby Dick« zu anstrengend? Wer dennoch nicht auf Weltliteratur verzichten möchte hat jetzt die Gelegenheit dazu. Bei »Sommers Weltliteratur to go« wird mit Playmobil erzählt.

Die gebundene Ausgabe von Leo Tolstois »Krieg und Frieden« umfasst stolze 1645 Seiten, »Moby Dick« von Herman Melville ist 918 Seiten dick und Uwe Tellkamps »Der Turm« bringt es auf 976 Seiten. »Schweere Koost«, würde Vitali Klitschko wohl sagen. Doch die schönste Erfindung seit es bewegte Bilder gibt - das Internet - macht es Menschen wie dem ukrainischen Boxer einfacher, sich die Werke anzueignen. Der Theaterregisseur und Dramaturg Michael Sommer erklärt in seinem Youtube-Kanal »Sommers Weltliteratur to go« (youtube.com/user/mwstubes) anhand von Playmobilfiguren den Inhalt von Klassikern wie Georg Büchners »Leonce und Lena« (Bild) in kurzweiligen, kaum zehn Minuten langen Filmchen. Sommer ist mit seinen Filmchen so erfolgreich, dass der Reclam-Verlag seit Kurzem mit ihm zusammenarbeitet.

Für Kulturpessimisten muss das ein Gräuel sein. Doch Sommer rechtfertigt sich mit einem einleuchtenden Argument. Würden wir noch im 19. Jahrhundert leben, abgeschnitten von der Welt, hätten wir vielleicht noch die Zeit, einen 1000-Seiten-Roman zu lesen. Heute fehle uns jedoch diese Zeit.

Zeit haben wir heute vielleicht nicht mehr, aber möglicherweise noch die Muse. Aber, sei’s drum. Im Grunde hat Michael Sommer recht. Im Zeitalter des Films und des Internet braucht man keine Bilder mehr, die beim Lesen im Kopf entstehen. Wie ein Pottwal aussieht, weiß heute jedes Kind, das einmal eine Natur-Doku auf N24 gesehen hat, da muss es sich nicht durch die seitenlangen, detaillierten Beschreibungen in »Moby Dick« quälen.

Dafür generiert die Netzkultur ein ganz neues Genre der Literatur: das der Ultrakurzgeschichte. Ein mir gut bekannter junger Mann hat in der Grundschule in einer Hausaufgabe einen Klassiker der Weltliteratur einmal mit folgenden Sätzen zusammengefasst: »Zauberer geht aus dem Haus. Lehrling will zaubern. Geht schief.« Damit ist das Wesentliche gesagt. Wer Muße hat, kann ja den »Zauberlehrling« lesen. jam Screenshot: www.youtube.com/user/mwstubes[1]

Links:

  1. http://www.youtube.com/user/mwstubes