nd-aktuell.de / 17.10.2015 / Kommentare / Seite 3

Die vier Geschädigten

Die Zeche des VW-Abgasskandals zahlen Kunden, Umwelt, Beschäftigte und Lieferanten, meint Heinz-J. Bontrup

Heinz-J. Bontrup
Natürlich sind es immer Menschen, die versagen, dies geschieht aber nicht systemunabhängig. Das war in der Banken- und Finanzkrise nicht anders als jetzt in der VW-Krise oder auch bei den ADAC-Betrügereien.

Wer hat den Gau bei VW zu verantworten? Sind es einzelne Personen? Oder ist es vielmehr das System, das hier versagt hat?

Natürlich sind es immer Menschen, die versagen, dies geschieht aber nicht systemunabhängig. Das war in der Banken- und Finanzkrise nicht anders als jetzt in der VW-Krise oder auch bei den ADAC-Betrügereien. Entscheidende Ursache ist letztlich immer der kapitalistische Profittrieb von Seiten der Kapitaleigner, der befriedigt werden muss. Deshalb versuchen Unternehmer und vom Kapital eingesetzte Manager ständig, die ungeliebte Konkurrenz auszuschalten, um in marktbeherrschende Macht- und Ausbeutungspositionen gegenüber Nachfragern zu gelangen. Jüngste spektakuläre Fälle von Kartellenttarnungen sind da nur die Spitze des Eisbergs, eine Manifestation von Betrügereien und kriminellen Handlungen zum Schaden der Allgemeinheit.

Um einzelwirtschaftliche Kosten zur Maximierung des Profits zu senken, werden massenhaft Umweltschädigungen und Raubbau am Menschen, selbst der Tod von Beschäftigten, billigend in Kauf genommen. Nicht vergessen sind die 1130 toten Fabrikarbeiter in Bangladesch, denen 2013 das vollkommen unsicher gebaute Fabrikgebäude über dem Kopf einstürzte. Eine unbegrenzte Raffgier der Fabrikbesitzer machte das Gericht als Ursache aus. Bei der Rendite für das Kapital hört schließlich jegliche Moral auf. Nach wie vor gilt, wie Marx den englischen Gewerkschaftler Dunning zitierte: »Mit entsprechendem Profit wird das Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden. 20 Prozent und es wird lebhaft; 50 Prozent positiv waghalsig: für 100 Prozent stampft es alle menschliche Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.«

Und jetzt sind die Abgasmanipulationen bei VW aufgeflogen. Sie reihen sich ein. »Umweltauflagen zu umgehen«, schreibt der renommierte Ökonom Rudolf Hickel, »diente dem Ziel, geringere Kosten durch die Reduktion der Katalysatortechnik zu erzielen«, um damit schließlich höhere Profite zu realisieren. Ein vermehrter gesundheitsschädigender Ausstoß an Stickoxiden wurde dabei in Kauf genommen.

Aber nicht nur dafür steht VW weltweit in der Kritik. Gleichzeitig wird der Autobauer in Brasilien wegen Bespitzelung und Folter von Beschäftigten während der Militärdiktatur in den 1960er und 70er Jahren angeklagt. Vielleicht trauen sich jetzt die von VW systematisch ausgebeuteten Lieferanten, den offensichtlich nicht mehr kontrollierbaren Riesenkonzern mit 600 000 Beschäftigten beim Bundeskartellamt wegen Nachfragemachtmissbrauch anzuzeigen. Tun die Lieferanten dies weiter aus nackter Angst vor VW nicht, werden auch sie die Zeche zu zahlen haben. Und die Beschäftigten wird das Management für das eigene Versagen, dies ist eine totale Pervertierung, mit Entgeltkürzungen und Entlassungen büßen lassen. Die vielen Leiharbeiter bei VW werden es als Erste zu spüren bekommen.

Dagegen sind die Beruhigungssprüche des VW-Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh nur als naiv einzustufen, wenn er vom Management keine Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigten erwartet. Hier ist übrigens die Frage zu stellen, wo eigentlich die vielzitierte erweiterte Mitbestimmung bei Volkswagen war. Schon einmal ist sie negativ bei der Hartz-Affäre aufgefallen. Und auch das sogenannte VW-Gesetz, mit dem öffentlichen Eigentümer Land Niedersachsen, war offensichtlich kein widerstreitender Garant beim jetzt eingetretenen Gau. Und warum nicht? Weil beide sich den Wahnvorstellungen eines Managements, der beste und größte Automobilproduzent der Welt werden zu wollen, kritiklos untergeordnet haben. Dies hat schließlich eine Unternehmenskultur geschaffen, die einerseits von autoritär-paternalistisch führenden Eliten nach wie vor dominiert ist und andererseits alles dem Bessersein und dem Ausbeuterprofit unterordnet.