nd-aktuell.de / 23.10.2015 / Kultur / Seite 15

Fassbomben, Fassbomben

In der deutschen Berichterstattung über den Krieg in Syrien bleiben die Quellen oft ungenannt

Karin Leukefeld
Zweifellos bedroht jede abgeworfene Bombe Leben und Gesundheit von Menschen, doch um die Aussagekraft der Umfrage zu erfassen, gehört es zum journalistischen Handwerk zu sagen, wer die Befrager sind.

Kürzlich meldete sich das US-Internetmagazin »Counterpunch« mit einem »Nützlichen Syrien-Spickzettel für Medien-Propagandisten« zu Wort. »Sprich immer wieder über Fassbomben, aber sag nie, dass die erstmals von der israelischen Luftwaffe 1948 und später von der US-Luftwaffe in Vietnam 1968 eingesetzt wurden«, heißt es da. Wiederhole immer wieder »Fassbomben, Fassbomben« und mach klar, dass sie vom syrischen Regime »gegen sein eigenes Volk, gegen sein eigenes Volk, gegen sein eigenes Volk« eingesetzt werden. Der Spickzettel empfiehlt weiter, nie zu erwähnen, dass die überwiegende Mehrheit der Toten in Syrien Soldaten der syrischen Armee (mindestens 84 000) und Kämpfer der bewaffneten Gruppen (mindestens 73 000) sind. Auf keinen Fall solle man über Bahrain sprechen, das einen Aufstand niedergeschlagen habe oder über Saudi-Arabien, das seit sechs Monaten Jemen bombardiert. Auch, dass die überwiegende Mehrheit der Leute, die in Syrien friedlich demonstriert hätten, keinen bewaffneten Aufstand wollten, sondern einen Dialog darüber, wie die Macht geteilt werden könne, solle man nie erwähnen.

Der Autor des Spickzettels, Gary Leup, Professor für Geschichte und Religion an der Tufts Universität (Massachusetts, USA) hält mit seiner scharfen Satire auch deutschen Medien den Spiegel vor.

»Assad tötet sieben Mal mehr Menschen als der IS«, ist ein Argument, das unter anderen von einer Expertin der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) bei einer Rundfunksendung (WDR 5, 28.9.2015) eingebracht wurde. Auf Nachfrage der Autorin, was die Quelle dieser Angabe sei, hieß es, die Zahlen stammten vom »Syrian Network for Human Rights« und seien »grafisch aufgearbeitet« (worden) von »The Syria Campaign«.

Ein Blick auf die jeweiligen Internetauftritte der genannten Gruppen zeigt, dass sie mit Fotos und Grafiken über grauenhafte Zustände in Syrien wie Werbeportale für einen »Regierungswechsel« (Regime Change) agieren. Beide Organisationen haben ihren Sitz in Großbritannien, weit weg vom Geschehen. Beide Organisationen stehen der oppositionellen »Nationalen Koalition der syrischen Revolution und Oppositionskräfte« (Etilaf) nahe, die ihren Sitz in Istanbul (Türkei) hat. Gerade erst hat diese vom Westen auserkorene »legitime Opposition« die von dem UN-Sondervermittler Staffan De Mistura vorgeschlagenen Gespräche abgelehnt.

»The Syria Campaign« ist zudem Co-Autor einer Umfrage, die sogar von Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Face-to-Face-Interview mit Anne Will (7.10.2015) zitiert worden war. »70 Prozent (der aus Syrien geflohenen Menschen) machen die Regierung von Bashar al-Assad verantwortlich« für den Krieg. Auf die Frage, was sich in Syrien ändern müsse, damit sie zurückgehen könnten, antwortete die überwiegende Mehrheit der Befragten (67,8 Prozent) zwar, dass der Krieg enden müsse. Die Autoren der Umfrage hoben allerdings hervor, dass »52 Prozent« der Befragten als Bedingung für ihre Rückkehr angaben, »dass Assad nicht mehr an der Macht« sein solle. 58 Prozent sahen eine »Flugverbotszone als Möglichkeit, die Fluchtbewegung aus Syrien zu reduzieren«, und »73 Prozent« der Befragten »sahen den Abwurf von Fassbomben als Risiko für Leib und Leben«.

Zweifellos bedroht jede abgeworfene Bombe Leben und Gesundheit von Menschen, doch um die Aussagekraft der Umfrage zu erfassen, gehört es zum journalistischen Handwerk zu sagen, wer die Befrager sind. Neben der schon erwähnten »The Syria Campaign« gehören dazu »Adopt a Revolution« (Leipzig) und »Planet Syria«, eine Gruppe mit Sitz im Libanon.

»Adopt a Revolution« stellte sich erstmals Ende 2011 mit einem Mobilisierungsvideo im Internet der Öffentlichkeit vor. Zu den Gründungsmitgliedern gehört der in Deutschland lebende Ferhad Ahme, ein aktives Mitglied des 2011 (in der Türkei) gegründeten Syrischen Nationalrates. Anfang Dezember 2012 forderte Ahme (DLF, 3.12.2012) für »die Rebellen (…) effiziente und bessere Waffen«. Etliche Erstunterstützer aus der Friedensbewegung zogen sich damals von »Adopt a Revolution« zurück.