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»Der Figur eine Seele geben«

Chefplastiker der Porzellanmanufaktur Meissen gibt Erfahrung weiter

  • Christiane Raatz
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Jahrzehnten prägt Künstler und Chefplastiker Jörg Danielczyk die Figuren der Porzellanmanufaktur Meissen. Bald geht er in Rente - und lernt schon mal seine potenziellen Nachfolger an.

Meißen. Vorsichtig setzt Jörg Danielczyk seine Raspel an, Späne fallen auf den Boden. Das Gipsmodell, eine filigrane Frauenfigur mit Flügel, erhält den letzten Schliff. Im Atelier des Chefplastikers der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meissen stehen überall Modelle von Flügeln - große und kleine. »Das ist gerade ein großes Thema für mich. Flügel bedeuten für mich Luft, Atmen, Fliegen, auch ein wenig über den Dingen stehen«, sagt der 63-Jährige.

Seit 46 Jahren beschäftigt sich Danielczyk mit dem »weißen Gold«, zahlreiche Tierplastiken, Figuren und Modelle hat er geschaffen. Zu den bekanntesten gehört die glänzend-weiße 1,80 Meter große »Saxonia«, die ein mit tausenden handgeformten Porzellanblüten besetztes Kleid trägt - laut Manufaktur die größte frei stehende Porzellanfigur der Welt. Eigentlich könnte Danielczyk in diesem Jahr in Rente gehen. Aber er hat sich dagegen entschieden. »Ich hänge an diesem Betrieb.« Vor allem aber will er seine drei Meisterschüler in den nächsten beiden Jahren begleiten.

Als »Kaendler der Neuzeit« bezeichnen manche den Chefplastiker. Johann Joachim Kaendler (1706-1775) gilt als Urvater der Porzellangestaltung in Europa. Danielczyk schätzt seinen großen Vorgänger, dennoch mag er solche Vergleiche nicht. »Ich bin ich«, sagt er selbstbewusst. Genauso wenig will er, dass seine drei Schüler einmal in seine Fußstapfen treten. »Vielleicht die ersten Stapfen durch den Tiefschnee, aber dann müssen sie selbst ihre Bahnen machen.« Aus einem großen Kreis habe er die drei ausgewählt, so Danielczyk. Schon seit zwei Jahren arbeitet das Team zusammen, nach und nach übernimmt der Nachwuchs mehr Aufgaben.

Einer der Meisterschüler ist Maximilian Hagstotz. Neben seinem Arbeitsplatz steht ein Orang-Utan aus braunem Böttger-Steinzeug. Bei einer Vernissage wurde die etwa 30 Zentimeter große Figur gezeigt - und gleich verkauft. »Das größte Stück, das ich bisher gemacht habe, da bin ich ganz stolz drauf«, sagt der 23-Jährige. Als Modelleur an der Porzellanmanufaktur zu arbeiten, sei eine große Herausforderung, so Hagstotz. Sein Wunsch für die Zukunft: »Meine eigenen Spuren zu hinterlassen«, sagt der gelernte Porzellanmaler.

Dass es im Umgang mit Porzellan viel Erfahrung braucht, weiß Danielczyk. »Erst wenn die Ofentür offen ist, weiß man, wie das Stück letztendlich geworden ist.«

1969 lernte Danielczyk an der Porzellanmanufaktur den Beruf des Modelleurs, 1978 wurde er in die Abteilung künstlerische Entwicklung der Manufaktur berufen, studierte in Dresden und Halle und machte seinen Abschluss als Diplom-Designer. Seit 1994 ist Danielczyk künstlerischer Leiter der Gestaltungsabteilung, seit 2011 Chefplastiker. Sein Geheimnis: »Man muss der Figur eine Seele geben.«

In seinen letzten beiden Arbeitsjahren hat sich vorgenommen, weg von »kleinen Püppchen und Nippes« zu kommen. Das spiele zwar bei Meissen-Porzellan weniger eine Rolle, sei aber nun einmal das bestimmende Klischee von Porzellan weltweit. »Das Material gibt auch etwas ganz anderes her. Mein Ziel ist, eine Tür zu einer ganz anderen Welt zu öffnen«, sagt der Gestalter mit Blick auf die großen Modelle, die sich in seinem Atelier reihen.

In seinen 46 Jahren an der Manufaktur hat Danielczyk viel erlebt - unter anderem auch fünf Geschäftsführer. Seit dem Weggang von Christian Kurtzke im März führt Tillmann Blaschke die Geschäfte. Kurtzke hatte den 300 Jahre alten Traditionsbetrieb seit 2008 einem radikalen Wandel unterzogen und zu einem internationalen Luxusgüterkonzern umgebaut. »Die Porzellanbranche ist nicht einfach, das hat in erster Linie mit der veränderten Tafelkultur zu tun«, meint Danielczyk. Auch das traditionelle Tafelservice werde sich verändern, ist er überzeugt. »Da geht es darum, was ich mir auf dem Tisch wünsche, um zeitgemäß zu essen.«

Antworten darauf zu finden, auch darin sieht Danielczyk eine Aufgabe für die Jungen. Neben dem Fachlichen will er seinen Meisterschülern vor allem »die Liebe und das Brennen für die Arbeit« mitgeben. Eine Kraft, die ihn selbst antreibt. »Man kann als Künstler nicht einfach aufhören.« Deshalb macht er sich auch keine Sorgen, dass ihm im Ruhestand langweilig wird: Er wird weiter Grafiken und Plastiken gestalten. dpa/nd

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