nd-aktuell.de / 04.11.2015 / Politik / Seite 12

Energiewende ohne Bürger

Thüringer Genossenschaften klagen, dass am Strommarkt nur Investoren zum Zuge kommen

Doris Weilandt
Die Bürgerenergiegenossenschaften in Thüringen sehen sich durch Ausschreibungsverfahren zunehmend vom Strommarkt verdrängt. Doch sollte die Energiewende nicht mit den Bürger umgesetzt werden?

Etwa ab dem Jahr 2000 gab es im ganzen Land einen gewaltigen Schub in Richtung Photovoltaik und Windkraft. Allein in Thüringen gründeten sich rund 40 Genossenschaften mit über 2000 Mitgliedern, die sich inzwischen zu einem Dachverband zusammen geschlossen haben. Der Vorsitzende von BürgerEnergie Thüringen e.V., Reinhard Guthke, beklagte dieser Tage auf einer Erneuerbare-Energien-Konferenz in Weimar, dass Genossenschaften durch die in der jüngsten Gesetzesnovelle des Bundes festgelegten Ausschreibungen vom Strommarkt faktisch ausgeschlossen werden. Der Grund: Die zumeist ehrenamtlich agierenden Genossenschaftsvorstände können den bürokratischen Aufwand personell und finanziell nicht bewältigen.

»Für die Genossenschaften ist das Ausschreibungsmodell verheerend. Es bedeutet für die Bürgerenergie das Aus«, konstatierte der Systembiologe und Bioinformatiker Guthke. Bisher habe keine Genossenschaft einen Zuschlag bekommen.

Die Ausschreibungen sind derzeit für Photovoltaik-Anlagen (PV) verpflichtend. Doch auch bei der Windkraft wird das Modell in Kürze Realität. Guthke fordert deshalb für die Bürgerenergie eine Ausnahme vom Ausschreibungsverfahren: »Ich befürchte, dass die Großkonzerne, nachdem sie bei der Atomenergie nicht mehr zum Zuge kommen, von der Bundesregierung bevorteilt werden.«

Simon Behrens von der Bundesnetzagentur sieht dagegen eine Professionalisierung des Strommarktes im Bereich erneuerbare Energien. Auch wenn er die Kosten für das derzeit angewendete Ausschreibungsverfahren bei PV-Anlagen als relativ gering einschätzt, wird der Einsatz bei Windparks deutlich höher ausfallen.

In diesem Bereich herrscht in Thüringen derzeit totaler Wildwuchs. Seit der Ankündigung der rot-rot-grünen Landesregierung, den Anteil von Windkraft an der Stromerzeugung zu verdreifachen, sind große Investoren besonders aktiv. Im rechtsfreien Raum versuchen sie Tatsachen zu schaffen, überreden Bauern und Landeigentümer zu Verträgen für Windparks. Die hohen Summen, die geboten werden, locken - auch das ist ein großes Problem für die Bürgerenergiegenossenschaften, die ihren Strom vor Ort produzieren und vermarkten wollen.

Die Grundidee der Genossenschaften: Anlieger sollen an den Anlagen beteiligt werden und davon profitieren. »Vertrauen ist wichtig«, sagt Guthke, der um die Diskussionen in vielen Orten weiß. Durch den entstandenen Druck wächst überall im Land die Gegnerschaft zu den Windparks, entsprechende Bürgerinitiativen haben großen Zulauf. Die Tatsache, dass die wenigsten Anlagen Thüringern gehören, dürfte ein wichtiger Grund dafür sein. Aus den reinen Investorenprojekten fließen dreistellige Millionenbeträge ab. Größere Teilhabe der Bevölkerung kündigte auch Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) an. Doch in vielen Fällen sind Flächen schon vorvertraglich gebunden und die Energiegenossenschaften haben keine Chance. In Mecklenburg-Vorpommern dagegen sollen die Bürger per Gesetz durch Anteilsverkäufe und Preisnachlässe am regionalen Strommarkt beteiligt werden - das ist deutschlandweit einmalig. Thüringen hat gegen einen solchen Schritt jedoch rechtliche Bedenken, sicher auch wegen der in der Vergangenheit geschaffenen Tatsachen.

Von ihrem Ziel - »Thüringen 100% erneuerbar gestalten« - ist BürgerEnergie e.V. zwar noch weit entfernt, aber der gemeinnützige Verein bietet mit dem Thüringer Landstrom bereits ein erstes Produkt an, das regional produziert wird. Die Idee, über Genossenschaften die Bürger unmittelbar an der Stromerzeugung zu beteiligen, hat auch die Verantwortlichen der Internationalen Bauausstellung Thüringen überzeugt. Der Thüringer Landstrom gehört zu den wenigen Kandidaten, die aus einer Bewerberfülle für das städtebauliche Zukunftslabor, das bis 2023 die Stadt-Land-Beziehungen in den Mittelpunkt rückt, ausgewählt wurden.