nd-aktuell.de / 05.11.2015 / Politik / Seite 14

Im Reich des Abstaubers von Köln

Im »Deutschen Staubarchiv« am Rhein lagern Proben aus aller Welt - sogar aus dem Kaiserpalast in Kyoto

Uwe Kraus, Köln
»Wir erforschen das Saug-, Kehr- und Wischverhalten putzender Menschen«, sagt Wolfgang Stöcker. Er bewegt sich damit auf mehreren Feldern zugleich: Alltagsgeschichte, Wissenschaft und Kunst.

Jedem Bundespräsidenten seit Roman Herzog hat er geschrieben, nie erhielt er eine Antwort. »Das ist mein größtes Ärgernis.« Dabei ist das Anliegen des Kölners Wolfgang Stöcker vergleichsweise schlicht. Für das »Deutsche Staubarchiv« bittet er um eine kleine Probe politischen Staubs. Aus dem Kaiserpalast in Kyoto erhielt er schon das Erwünschte. »Wogegen das Bundeskanzleramt mir keine Probe schickt, mir aber anbot, wenn ich mal in Berlin sei, könnte ich mir Staub abholen«, berichtet der 46-Jährige.

Sein Archiv arbeitet interdisziplinär in den Feldern Kunst, Alltagsgeschichte, Geologie, Chemie und Physik. Seit 2004 trägt der Kunstgeschichtler und Künstler Stöcker das zusammen, was andere absaugen, wegwischen und -kehren, um möglichst sauber dazustehen: Wollmäuse, Staubpartikel oder Flusen. All das landet bei dem Staubforscher nicht etwa im Staubsauger, sondern im Archiv-Normbeutel.

Die Beutel hat Stöcker nicht durchgezählt, aber um die 400 werden es sein, die in seinem Atelier lagern. »Die Sammlung finde ich ziemlich übersichtlich, mehr als drei Meter Aktenordner sind das nicht, aber es ist ja ein ständig wachsendes Projekt«, sagt der Archivleiter. Längst rekrutierte er »Staubscouts« - Mitstreiter, die geeignetes Material weltweit aufspüren. »Wir erforschen das Saug-, Kehr- und Wischverhalten putzender Menschen«, sagt Stöcker. Er empfiehlt übrigens, ein Staubtagebuch zu führen, an dessen Inhalt er - natürlich - sehr interessiert wäre. Der Kölner Experte kategorisiert die Bröckchen, Partikel und ähnliches in Kultur- und sakrale, politische, kulinarische, musikalische und Naturraumstäube. So breit fällt denn auch die Palette der Exponate im »Deutschen Staubarchiv« aus: Fusseln aus der Weimarer Fürstengruft sind dabei, Staub aus der Sahara, aus der Verbotenen Stadt von Peking, Staub aus Petra, der Stadt der Felsengräber in Jordanien, Wollmäuse aus den Uffizien in Florenz.

Stöckers Exponat Nr.1 stammt natürlich aus seiner Heimatstadt, entnommen am 28. Mai 2004 im Kölner Dom. Unterdessen gibt es auch passende Fotos. »Zur historisch markanten Staubprobe vom Empire State Building findet sich die Aufnahme aus dem Aufzugschacht des Gebäudes«, erzählt der Staubforscher. Er bittet in seinen Briefen um genaue Angaben und um Zugaben vom Fundort. Das können etwa Briefköpfe, Programmhefte und Eintrittskarten sein. Schließlich soll sich der Fundort als kulturell wertvoll auszeichnen. Solchen Wert macht Stöcker - augenzwinkernd - auch in renommierten Weinkellern aus.

Dem heimischen Domstaub folgten Proben aus Domen in Neapel, Aachen und Halberstadt ebenso wie aus der Zayhed Moschee Abu Dhabi. Doch der Bekanntheitsgrad des Herkunftsortes allein sei für den Staubforscher nicht bedeutsam, sagt Stöcker. Derzeit sucht er seine Staubspuren in den Literaturhäusern der Welt. Durch eine Übersichtskarte der Dichtergedenkstätten stieß er auf das Literaturmuseum der Aufklärung im Halberstädter Gleimhaus. Dort hielt man den seltsamen Brief aus Köln zuerst für einen Scherz, dann suchten die Mitarbeiter lange nach Flusen und stießen im Tresorraum auf den gewünschten Staub im Keilrahmen eines Gemäldes. Den registrierte Stöcker unterdessen unter der Kulturstaub-Nummer 132 in ehrenwerter Gesellschaft mit dem Staub aus dem Kaiserpalast in Kyoto und dem Lübecker Holstentor.

»Auch wenn es etwas humorig begann, es ist ein ernst zu nehmendes Projekt«, sagt Stöcker. »Denn im Allgemeinen gilt: Staub empfinden wir als lästig - und was wir schätzen, säubern wir. Der skurrile Moment entsteht vor allem dadurch, dass plötzlich jemand Staub als archivierungswürdiges Objekt sieht.« Und der Archivleiter philosophiert über die »gewisse Poesie und das Filigrane« des Staubs, den er als ein Symbol für Verfall und Vergänglichkeit versteht.