nd-aktuell.de / 05.11.2015 / Politik / Seite 7

Türkei auf dem »Sprung nach vorn«

Nach dem AKP-Sieg nimmt Ankara Kurs auf ein starkes Präsidialsystem

Die Stärkung der Macht des Präsidenten ist nach dem Wahlsieg der AKP wichtigstes Anliegen der islamisch-konservativen Partei.

Ankara. Drei Tage nach dem Sieg der Regierungspartei AKP bei der türkischen Parlamentswahl hat Präsidentensprecher Ibrahim Kalin für ein starkes Präsidialsystem geworben. »Unsere Ansicht ist eindeutig«, sagte Kalin am Mittwoch vor Journalisten in Ankara. Wenn ein starkes Präsidialsystem eingeführt werde, ermögliche dies der Türkei einen »Sprung nach vorn«. Präsident Recep Tayyip Erdogan war von 2003 bis 2014 Ministerpräsident, im August 2014 wechselte er ins Amt des Staatspräsidenten. Kalin deutete an, dass der neue Zuschnitt der Vollmachten des Präsidenten durch eine Volksabstimmung legitimiert werden könnte. »Wir werden das Volk befragen, wie wir das in der Vergangenheit gemacht haben.«. Wenn ein Referendum das angemessene Mittel sei, so werde dies anberaumt.

Die AKP strebt die Umstellung auf ein Präsidialsystem an, um Erdogans Vollmachten auszuweiten. Bei der Wahl errang die Partei die absolute Mehrheit und kann nun wieder allein regieren. Die islamisch-konservative Partei verfügt im Parlament über 316 der 550 Sitze. Für Verfassungsänderungen braucht sie die Stimmen von 330 Abgeordneten. Premier Ahmet Davutoglu rief die Opposition bereits auf, gemeinsam eine neue Verfassung mit mehr Vollmachten für Erdogan auszuarbeiten.

Unterdessen hat erstmals in der Geschichte der türkischen Republik eine Richterin mit islamischem Kopftuch den Vorsitz in einem Gerichtsverfahren geführt. Sie habe am Dienstag im Justizpalast von Istanbul eine zivilrechtliche Anhörung geleitet, berichtete die regierungsfreundliche Zeitung »Sabah«. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte hatte kurz vor der Parlamentswahl vom 7. Juni das Kopftuchverbot für Richterinnen aufgehoben. Die Regierung hatte zuvor bereits das Tragen des islamischen Kopftuchs in Universitäten und im Parlament erlaubt, später im öffentlichen Dienst und in Schulen. AFP/nd