Eine schönere Welt ist möglich

Verdis »Messa da Requiem« in der Philharmonie

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Marek Janowski gehört zu den »grandiosen Wagner-Interpreten«, wie seine Biografie vermerkt. Sodann beliebt es ihm, die klassisch-romantische Tradition rauf- und runterzudirigieren; weniger die der klassischen Moderne und noch weniger jene der ganz neuen Komponisten, für welche der Rundfunk ein doppeltes Herz haben müsste. Verdi aber hat der 76-Jährige, der soeben als Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) zurücktrat, dem Orchester indes weiter zur Seite steht, eher stiefmütterlich behandelt. Umso mehr überraschte die brillante Aufführung von Verdis Requiem am Mittwoch im vollbesetzten Großen Saal der Philharmonie.

Insgesamt eine unerhört starke Leistung. Unstrittig die Qualität des Rundfunkchores Berlin. Der junge Niederländer Gijs Leenaars leitet ihn seit Saisonbeginn und schwor mit seiner Einstudierung der Chöre beste Traditionen herauf. Auf derselben Höhe die übrigen Mitwirkenden. Hoch bewertete italienischen Wiedergaben des Werkes etwa mit Starsolisten, dem Chor und Orchester der Mailänder Scala unter Daniel Barenboim oder dem Chor und Orchester Dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano 2009 ist die Aufführung durchaus zur Seite zu stellen.

Erste Wahl traf der erfahrene, weise Janowski mit dem Solistenquartett aus bekannten und weniger bekannten Persönlichkeiten. Im »Kyrie eleison, christe eleison« heben die Vier erst nacheinander, dann polyphon im Ensemble so vehement, so leidenschaftlich, so eifernd im besten Sinne an, dass einem schon dort Schauer über den Rücken laufen. Das geht so weiter. Neben den Herren setzten auch und vor allem die beiden Damen wahrhafte Glanzpunkte. Marina Prudenskaya, eigentlich Mezzosopranistin, doch genauso sicher in den tieferen Registern, tritt im »Liber scriptus proferetur«, Teil des »Tuba mirum«, mit ihrer warmweichen, nichtsdestoweniger ausdruckserfüllten Vokalität hervor. Weite solistische Teile des Finales bestreitet Hulkar Sabirova, Sopran, schwarzhaarig, in Schwarz gehüllt. Eine Carmen des vokalsinfonischen Fachs, deren teils rauchige, unheimliche, von Todesschwärze geschwängerte Stimme bis in das ppp-Ende hineinführt. Bewundernswert intervallfest Stefano Secco, Tenor. Kleiner Mann mit großer, dem Verdi-Operntum verschriebener Tenoralität, was seinem Part durchaus angemessen schien. Nicht zuletzt Bassist Günther Groissböck, der noch bei den leisen Quartetten die Volumina seiner Unterstimme zu kontrollieren wusste.

Verdis »Messa da Requiem« ist unendlich mehr als eine »musica sacra«. Sie umgreift eine ganze Welt. Der Komponist schrieb sie auf den Tod des großen italienischen Nationaldichters Alessandro Manzoni (1785-1873), den er ob seines Romans »I Promessi Sposi« zuinnerst bewunderte und dessen Tod ihn aufs Schwerste erschütterte. »So sehr ich auch gegen die Hässlichkeit dieser Welt verhärtet bin, ein wenig Herz ist mir geblieben und ich weine noch«, gesteht der Meister in einem Brief.

Doch was ist der Tod des Einzelnen gegenüber den Toden der vielen angstvollen, verfolgten Seelen, die mit Frau und Kindern, Vater und Mutter auf der Flucht sind und denen kein rettender Engel die Stirn küsst? Die gibt es nicht. Solche Assoziationen kommen einem, dringt diese wunderbare Musik in die Weite des Raums, in der auch Fernbläser oben ihre Motive mehrmals spielen, so kräftig, als würden sie sagen wollen, hier ist ein Signal, greift danach, haltet euch daran fest, spinnt die Töne weiter, etwas anderes als die »Hässlichkeit dieser Welt« ist möglich.

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