nd-aktuell.de / 07.11.2015 / Kultur

Wie man Grenzen bewegt

Performance in Ben Wagins »Parlament der Bäume«

Sebastian Loschert

Klare Kanten, Beton, Stahl, gezähmte Natur bestimmen das Regierungsviertel. Eine andere Welt betritt, wer hinter dem Maria-Elisabeth-Lüders-Haus den Eingang in das »Parlament der Bäume« von Ben Wagin findet. Wie ein gallisches Dorf wirkt das Grundstück mit den herbstlich bunten Bäumen, auf dem der Künstler ein rund 50 Meter langes Mauerstück erhalten und gestaltet hat. Ein einzigartig kreativer Erinnerungsort an die Mauertoten, der aber der Gefahr ausgesetzt ist, von den Gebäuden des anderen Parlaments geschluckt zu werden.

Es dämmert bereits, es ist feucht und kühl, doch der 85-jährige Ben Wagin ist im hintersten Eck des Geländes noch am Werkeln. Er hat Beete gegossen - 120 Arten Pflanzen wachsen hier - und rollt nun einen schweren Gartenschlauch zusammen. Man kennt ihn als den, der mit Bundes- und Ministerpräsidenten Bäume pflanzt, doch man sollte sich nicht täuschen: Er kann auch ausgezeichnet auf seine Nachbarn schimpfen. Manch einer wünsche ihm einen baldigen Tod, um das Filetstück bebauen zu können, doch Wagin ist wehrhaft: »Ich werde noch auf einige Beerdigungen gehen, das habe ich ihnen gesagt.«

Seit einigen Tagen steht längs zur Mauer mit den verwitterten Grenzlampen eine Installation der Künstlerin DafneB. Sie besteht aus 18 Panzersperren, wie sie an der Berliner Mauer im Einsatz waren, doch statt aus Stahl sind sie aus schweren Holzbalken verschraubt. Wagin freut sich, dass zum ersten Mal eine Künstlerin aus den ostdeutschen Bundesländern bei ihm ausstellt. Das sei bezeichnend: Kaum einer aus dem ehemaligen Osten interessiere sich für das, was er tue, »das dauert noch eine Generation, bis die Trennung in den Köpfen weg ist«, meint Wagin.

(Innere) Blockaden, Trennungen, Grenzen, Mauern: Das ist das Thema von Wagin und auch das Thema der Installation von DafneB. In einem Dorf in Sachsen-Anhalt aufgewachsen, arbeitet sie seit Anfang der 1990er Jahre in Berlin. Ein Landkind wie Wagin also. Unter Kirschbäumen, Linden und Kastanien beginnt in der Dunkelheit die Performance. Vier Menschen stehen zwischen den spärlich beleuchteten Holzsperren. Ein Saxofonist spielt jenseits der Mauer. Wie bringen die Akteure dieses sperrige Ungetüm in Bewegung? Es erfordert gemeinsame Arbeit und die richtigen Werkzeuge. Schraubenschlüssel klirren. Je zwei Performer sind nötig, um die Schrauben zu lösen, eine Sperre nach der anderen zusammenzulegen, einzuklappen, Raum zu schaffen, wo vorher dieses Monstrum stand. Das Saxofon ist verstummt, nur menschliches Ächzen, metallenes Klirren, hölzernes Poltern ist zu hören. Siehe da: Die Balken können auch als Tisch dienen.

»Das nächste Mal sollten wir vielleicht eine Ratsche nehmen«, schlägt einer vor. Es ist Manfred Heinrich, in der DDR war er Grenzschützer und wie Dafne B kommt er aus der Nähe von Stendal. Als er die letzten Male in Berlin war, war er im Dienst: Als Wehrpflichtiger 1984/85, dann noch einmal 1988 als Reservist. Er bewachte den Todesstreifen in der Nähe des »Checkpoint Charlie«, anderthalb Kilometer von hier. »Genau die Mauer habe ich bewacht«, sagt er und zeigt auf die steinernen Überreste, als könne er es selbst nicht glauben. Seit 1988 ist er nie wieder in Berlin gewesen. Das habe aber nichts mit der Grenze zu tun, sondern die Großstädte reizten ihn einfach nicht. Trotzdem kommt er während der Performance ins Nachdenken: Dass er Glück hatte, nicht in den Funkwagen mit der krebserregenden Strahlung eingesetzt gewesen zu sein, zum Beispiel. Er macht Fotos von der Mauer, um sie zu Hause in Stendal, wo er in einer Werkstatt arbeitet, zu zeigen.

Es ist eine ganz besondere Performance zum Jahrestag des Mauerfalls, weil sie inmitten der großen Politik so gar nicht staatstragend ist.

DafneB: X Die Sperre im Kopf X. Performance und Rundgang am So., 8.11., 18 Uhr, Einlass 17 Uhr. 10 Euro. Rundgang auch am 15., 22., 29.11., je 14-16 Uhr. Adele-Schreiber-Krieger-Straße, Berlin.