nd-aktuell.de / 12.11.2015 / Kultur / Seite 18

Eine Frage der Transparenz

Im Kino: »Democracy - Im Rausch der Daten« von David Bernet

Caroline M. Buck

Ein derart ungehinderter Zugang zu den Konferenzräumen der europäischen Institutionen sei vorher noch keinem Filmteam eingeräumt worden, heißt es im Pressematerial zu »Democracy«. Nun wird so etwas immer gern behauptet, wenn Filmemacher sich an realen Institutionen abarbeiten. In diesem Fall aber ist die Behauptung der Wahrheit sehr nahe: »Democracy« führt tatsächlich hinter die Kulissen der europäischen Gesetzgebungsfindung. Was schon spannend wäre, wenn da vor der Kamera nur irgendein Gesetzestext verhandelt würde. Es wird aber umso relevanter, wenn es um das jahrelange Ringen um ein neues europäisches Datenschutzgesetz geht.

Die Richtlinie, die es zu ersetzen gilt, stammt aus dem Jahr 1995 - und ist damit hoffnungslos veraltet, denn 1995 steckte die Digitalisierung der Gesellschaft noch in den Kinderschuhen, das Internet als Massenmedium war noch jung und Social Media ein Ding der fernen Zukunft. Ausgehend von einem Vorschlag der Europäischen Kommission soll deshalb im Jahr 2012 vom EU-Parlament ein neues Gesetz ausgearbeitet werden, das später noch mit dem Europäischen Rat abgestimmt werden muss. Diese Vorlage der EU-Kommission wurde federführend verantwortet von der (damaligen) EU-Kommissarin Viviane Reding von der Europäischen Volkspartei, zuständig für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Berichterstatter für das Parlament, sprich: Verhandlungsführer für das Projekt Datenschutzgesetz, wird der junge Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht.

Er und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Ralf Bendrath sind, zusammen mit Reding, die Motoren des Datenschutzgesetzes und damit dieses Films. An ihnen wird es maßgeblich liegen, einen Entwurf auszuarbeiten, der die schwierige Balance schafft, weder die Bürgerrechte an die Wirtschaft auszuverkaufen, noch den wirtschaftlichen Motor Digitalisierung abzuwürgen. Der Entwurf muss kompromissfähig sein, ohne zahnlos zu werden - und das alles lange vor Edward Snowden, dem Handy der Kanzlerin und den unappetitlichen Enthüllungen über weltweite Spionage, die das Thema erst in die breite Öffentlichkeit trugen. Snowden wird noch während des langwierigen Textfindungsprozesses zum Thema werden, seine Enthüllungen werden die schließliche Kompromissfindung im EU-Parlament entscheidend vorantreiben. Erst am Rat und den nationalen Egoismen der einzelnen Mitgliedsstaaten wird das Projekt dann später scheitern.

Was der Schweizer Filmemacher David Bernet in »Democracy« begleitet, wird vom reißerischen deutschen Untertitel (»Im Rausch der Daten«) dabei gerade nicht wiedergeben. In großformatigen digitalen Schwarz-Weiß-Bildern zeigt er harte Arbeit und zähes Ringen, den Kampf der Datenschutz-Davide gegen den Wirtschaftsinteressen-Goliath, gelegentliche Momente des Verzweifelns an der unmöglichen Aufgabe und am Ende einen wohlverdienten, aber nur temporären Triumph. Und vor allem sehr, sehr viele Meetings, das Wandern durch die endlosen Korridore der EU-Gebäude, in denen sich auch die Protagonisten gelegentlich verlaufen und einen endlosen Reigen von Lobbyisten-Auftritten im Abgeordnetenbüro - Lobbyisten beider Seiten: die der Wirtschaft und die diverser europäischer Bürgerrechtsbewegungen.

Bernet filmte Schattensitzungen unter der Leitung von Schattenberichterstattern, er filmte Reding, wie sie dem Rat Rede und Antwort steht, er sprach mit Wirtschaftsjuristen und mit Datenschutzaktivisten seitab des Verhandlungstisches, und er zeigt die Einbettung der EU-Bürokratie in eine Stadt, Brüssel, in der nebenan, im Windschatten der gesichtslosen Bürohochhäuser, eine Gruppe von Jugendlichen auch einfach nur mal Fußball spielt. Am Ende stehen Snowden und eine große Mehrheit der Stimmen für den damit vom Parlament schließlich verabschiedeten Gesetzentwurf. Der fand dann vor dem Rat keine Mehrheit. Der Trilog, das Ringen um einen Kompromiss zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat, dauert noch an. Man hofft auf ein Ergebnis bis Ende des Jahres. Damit hätte es dann vier Jahre gedauert, diese Gesetzgebung auf den Weg zu bringen.