Im Geist des Cognacs

Martin Leidenfrost suchte die Spuren von Jean Monnet, einem Wegbereiter der Europäischen Union

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Da diese Art der europäischen Einigung von einem Cognac-Händler erfunden wurde, frage ich mich schon lange, ob die EU aus dem Geist des Cognac-Handels geboren ward. Jean Monnet (1888 - 1979) besetzte höchste politische Positionen - bei den Alliierten, beim Völkerbund, beim französischen Planungsamt, beim Vorläufer seiner Europäischen Kommission -, ohne jemals bei demokratischen Wahlen angetreten zu sein. In seinen Memoiren beschrieb Monnet das Milieu seiner Kindheit als »ernsthaft, vielleicht von einem gewissen angelsächsischen Puritanismus geprägt«. So wie der Cognac von Ausländern wie Hennessy und Martell groß gemacht wurde, so wurde der junge Jean nach England und Amerika geschickt, »unsere Kunden besuchen«. Sein Elternhaus stand Ausländern offen: »Bei Tisch sprach man gewöhnlich über die Themen der Welt, so wie andere über Angelegenheiten der Gemeinde reden.«

Ich fahre nach Cognac. In Monnets Heimatstadt leben noch zwei Cousins zweiten Grades. Am Telefon nach einem etwaigen Monnet-Museum gefragt, empört sich einer der Brüder: »Es gibt nichts zu sehen. Nichts!« Bevor ich das »enorme Anwesen« des alten Herrn aufsuche, fahre ich zur Firma nach Jarnac. Den Cognac »Monnet« gibt es nämlich noch.

Eine redselige Madame Germain lässt mich zwar nichts kosten, dafür beschreibt sie mir den Weinbrand. Als »großzügig, gesellig, verbindend«. Da Weinbau und Destillation im Cognac-Gebiet von Zulieferern erledigt werden, kommt das aseptische Palais an der Charente mit 20 Mitarbeitern aus. Eine internationale Marketing-Crew letztlich, auch für die Marken Hine und Davidoff. »Monnet ist in Frankreich schwach, der größte Markt ist Finnland,« sagt Madame, »mit dem Namen des Gründervaters von Europa machen wir nicht immer Werbung.«

Schwindlig wird mir, als sie von der Achterbahn der Globalisierung erzählt, welche die Marke hinter sich hat. Einst von Jean Monnet geführt, wurde die Firma 1963 an Scharlachberg, Deutschland, verkauft. Dann an Asbach, Deutschland. Dann an Marktführer LVHM-Hennessy - der übergab Monnet dem Konkurrenten Hine und »interessierte sich nur für die Lagervorräte«. Dann an die Finanzgruppe CL, Trinidad. Dann wegen Bankrotts von CL an den Staat Trinidad. 2013 an den französischen Mischkonzern EDV SAS. Monnet pries Cognac einst dafür, dass sie »die einzige Stadt in Frankreich ist, die den Apostel des Freihandels mit einer Straße ehrte«, Richard Cobden. Der globale Höllenritt seines Cognacs hätte ihn vielleicht nicht groß gestört.

Cognac, Logis de Montignac, das Anwesen hinter einer grau­weißen Mauer ist tatsächlich enorm. Junggeselle Jacques Szersnovicz, 73, empfängt mich in einem altmodischen Bürgeraufzug, auf dem Klavier hat er seine Monnet-Bücher ausgebreitet. »Der Bürgermeister ist Marxist-Leninist«, schimpft er, »Europa ist nicht sein Problem.« Ich kann kurz in die Küche hineinsehen: alt, kalt, ärmlich, unbehaglich. Szersnovicz, Autor des Aufsatzes »Polen und Jean Monnet«, verbreitet sich über die Herkunft seines Namens. Da seine galizischen Ahnen Jahrhunderte vorher aus Pommern gekommen waren und da jene Gegend weitere Jahrhunderte vorher dänisch gewesen war, bat er dänische Politiker um Spenden für eine Monnet-Konferenz. Die Dänen zeigten sich unverständig, also gibt er das Manuskript seines nie gehaltenen Vortrags mir.

Er nennt Jean Monnet einmal einen »ausgezeichneten Technokraten«, ein andermal den »Createur einer Zivilisation«. Das »wahre Problem« sieht er auch - »dass nur die Eliten Europa verstehen«. Er selbst kannte Jean Monnet kaum, dieser kehrte auch im Alter nicht nach Cognac zurück. »Es gibt doch kein intellektuelles Leben hier!«, ruft Szersnovicz empört.

Er führt mich in den Garten, in welchen der kleine Jean Monnet zum Spielen kam. Heute ist das ein langgezogener Urwald, nur an einem Pfad betretbar. Seitlich ein Tennisplatz, aus dem Unkraut sprießt. Dahinter drei verpachtete Hektar Weinreben, Rohstoff für Cognac von wir wissen nicht welcher Marke. Der alte Mann sagt, er kümmere sich um den Garten, so lange es geht. »So wie ich mich dem Lebensabend meines Onkels geweiht habe, meiner Tante und meines Bruders.« Im Garten zeigt mir der Cousin zweiten Grades des Gründervaters der Europäischen Union einen Baum. »Die Stürme werden immer schlimmer«, sagt er mit aufgerissenen Augen, »der Baum wurde total entwurzelt.«

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