Vollmatrosen halten SPD auf Kurs

Landesparteitag machte keinerlei Abstriche an der Kreisgebietsreform

Einige Kreisverbände und Ortsvereine sowie die Jusos wollten die Pläne zur Verwaltungsstrukturreform verändern. Doch ein SPD-Parteitag wehrte gravierende Korrekturen ab.

Der SPD-Landesparteitag lehnte am Sonnabend im Kongresshotel Potsdam alle Versuche ab, bei der geplanten Kreisgebietsreform Abstriche zu machen. Innenminister Karl-Heinz Schröter ermunterte die 122 Delegierten vorher, tapfer zu sein und auch bei schwerer See Kurs zu halten, sich wieder einmal als Vollmatrosen zu erweisen. »Mutig ist, wer heiratet«, sagte Schröter. »Tapfer ist, wer nach 35 Jahren immer noch mit der selben Frau zusammen ist.« Dafür erntete der Minister einige Buhrufe. Aber überwiegend reagierten seine Genossen freundlich mit Heiterkeit und Applaus. Da zeichnete sich schon ab, wie die Abstimmung gleich ausgehen würde.

Für Streit sorgte ein Passus im Leitantrag, demzufolge die kreisfreien Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) durch Eingliederung in leistungsfähige Landkreise von Verwaltungsaufgaben entlastet werden sollen. In den drei hoch verschuldeten Städten trifft dies auf Widerstand. Dort ansässige Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitiker von CDU und SPD pochen auf Selbstständigkeit, in Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) reihen sich auch LINKE in diese Front mit ein.

Beim Parteitag beschwerte sich die in Cottbus lebende Landtagsabgeordnete Martina Münch, andere Aspekte der Gebietsreform wie die künftigen Landkreisgrenzen seien nicht so »vorfestgelegt« wie die Einkreisung der Städte. Der Abgeordnete Ralf Holzschuher aus Brandenburg/Havel gestand zu: »Wir wollen nicht negieren, dass es Handlungsbedarf gibt. Das ist in allen kreisfreien Städten unbestritten.« Doch die Debatte über den richtigen Weg sei nicht abgeschlossen. Deshalb solle der Parteitag jetzt nichts festklopfen. Entschieden werden solle erst im Sommer 2016, forderte Holzschuher. Jens-Marcel Ullrich aus Frankfurt (Oder) erinnerte, dass die öffentlichen Diskussionen über die Reformpläne erst noch ausgewertet werden müssten. Innenminister Schröter habe versprochen, Einwände zu überdenken. Ullrich warnte, bereits jetzt eine Vorentscheidung zu treffen.

Doch SPD-Fraktionschef Klaus Ness erklärte, dass der Innenausschuss des Landtags bereits im Mai 2016 etwas beschließen solle. Bis dahin werde es keinen SPD-Parteitag mehr geben. Die Delegierten müssten also bereits heute die Richtung vorgeben. Ness verwies auf den Koalitionsvertrag mit der LINKEN. Da stehe drin, dass es statt 18 Kreisverwaltungen künftig maximal zehn geben solle. Wie das funktionieren solle ohne Einkreisung, solle ihm einmal jemand erklären, verlangte Ness.

Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner sagte: »Wir können uns der Realität nicht verschließen.« Durch sinkende Bevölkerungszahlen in der Peripherie des Landes würden die Verwaltungskosten je Einwohner steigen. Es bestehe Handlungsbedarf. Hübner warb dafür, der umstrittenen Passage im Leitantrag zuzustimmen.

Das tat dann eine deutliche Mehrheit der Delegierten. Alle nicht ins Konzept passenden Änderungsanträge und alle Zusatzanträge, die auf eine Aufweichung der Reform abzielten, wurden abgeschmettert. So erging es beispielsweise dem Ansinnen des Kreisverbands Prignitz, die Verwaltungsstrukturreform auszusetzen, oder den Vorschlägen des Ortsvereins Neuruppin, bestehende Landkreise bei der Bildung neuer Großkreise nicht zu zerteilen und die geforderte Mindesteinwohnerzahl von 175 000 auf 120 000 herabzusetzen. Vergeblich legte Detlev von der Heide aus Teltow-Fläming dar, seiner Meinung nach seien die derzeitigen Landkreise keineswegs zu klein. Wenn er zur Kreistagssitzung nach Luckenwalde wolle, dann müsse er eine halbe Stunde früher von seiner Arbeit weg. Künftig würden es wegen des längeren Wegs vielleicht anderthalb Stunden sein, und er könne als ehrenamtlicher Kreistagsabgeordneter nicht seriös über Probleme weit weg in Elbe-Elster urteilen.

Ministerpräsident Dietmar Woidke hielt im Kongresshotel eine Rede, die so deutlich vom ausgeteilten Manuskript abwich, dass die Journalisten den Text beiseite legten und sich Notizen machten, denn es gilt immer das gesprochene Wort. Woidke hat im Grunde inhaltlich alles gesagt, was so ähnlich auch im Manuskript stand. Er verzichtete allerdings bei den Abschnitten zur Asylpolitik auf einige Seitenhiebe auf die CDU, erklärte vielmehr ganz sachlich, was unbedingt zur Integration der Flüchtlinge getan werden müsse. So forderte er ein groß angelegtes Arbeitsmarktprogramm zur Qualifizierung und Beschäftigung der Flüchtlinge, aber auch der einheimischen Langzeitarbeitslosen.

An einer Stelle legte Woidke den staatsmännischen Habitus ab. Er ätzte, der Status kreisfreie Stadt interessiere kaum jemanden, nicht den Investor und nicht den Bürger, sondern nur den, der um seinen Status in der Verwaltung fürchte. »Aber das kann für uns nicht der Maßstab sein.« Da murrten einige Reformgegner. Am Ende seiner Rede erhielt Woidke erst nur mäßigen Applaus. Doch als er bereits wieder auf seinem Platz saß, steigerte sich der Beifall doch noch und hielt so lange an, dass Woidke wieder aufstand, sich umwandte und eine geschmeichelt abwimmelnde Geste machte.

> > Lesen Sie hierzu »Meine Sicht: Tapfere SPD bleibt feige«

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