Überraschung im Detail

Bilder von Cornelia Schleime in Wilmersdorf

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein frecher Blick schneidet die Besucher am Eingang der Galerie. Frech und feinsinnig. Es ist der Blick eines Mädchens mit androgyn wirkendem Kurzhaarschnitt. Haarfarbe blau. Skepsis und Verspieltheit zugleich. Es sind keine realen Gesichter, die die Malerin Cornelia Schleime hier abbildet. Doch den Blicken der Mädchen kann man sich kaum entziehen: draufgängerisch, angstfrei oder fragil, zweifelnd oder sentimental, tieftraurig. Andere wenden sich ab und schaffen mehr Geheimnis, als sie vielleicht zu verbergen haben. Vielleicht auch nicht.

Oft hält eine Stoffschleife Haare und Persönlichkeit zusammen. Einmal auch der Arm eines Mädchens: Ein an das Handgelenk geschnürtes Bändchen ist mit der Frisur direkt verbunden. Ein anderes Mädchen hat sich jeden einzelnen Fingernagel in einer anderen Farbe bemalt. Das ist Überraschung im Detail. Das ist die Kunst, die die Gabriele-Münter-Preisträgerin Cornelia Schleime kann. Sie ist genauso gut im Weglassen wie im Fokussieren. »Konzentrier Dich!«, fordert sie.

Die Bilder stammen aus der Reihe »See you See me«, die in diesem Jahr in ihrem Atelier in der Prignitz entstand. Schleime begann in den Siebzigern ein Maskenbildner-Studium und setzte ihre künstlerische Ausbildung an der Hochschule für Bildende Künste Dresden fort. Dort gründete sie mit Freunden die Punkband »Zwitschermaschine« und drehte subversive Schmalfilme. Sie erhielt Ausstellungsverbot und ging 1984 nach Westberlin. »Ich musste mit dem Malen ganz neu beginnen. So leicht bin ich heute also nicht zu erschrecken, Neuanfänge kenne ich«, sagt die Berlinerin.

An den überdimensionale Aquarellen fasziniert die Leuchtkraft, trotz des Wassers. Ausufernde zarte Farbflächen werden durch die bestimmende Bleistiftlinie wieder begrenzt. Orange und Hellgrün dominieren und doch helfen sie nicht immer über die melancholische Stimmung einzelner Motive hinweg. Cornelia Schleime zelebriert Brüche. Die plakatartigen unformatierten Arbeiten auf Büttenpapier hängen an zwei Klammern. Jeder Rahmen hätte die Wucht der Bilder geschluckt. »Ohne Filter kommt der Betrachter richtig nah heran. Er sieht den Arbeitsprozess. Und das war echt eine wässrige Angelegenheit«, sagt die Künstlerin.

Cornelia Schleime zählt zu den wenigen deutschen Künstlerinnen, die auch international anerkannt sind, 2005 erhielt sie in China einen renommierten Kunstpreis. Ihre Reisen führten sie nach New York, Indonesien, Brasilien, Hawaii. Nach ihrem Aufenthalt in der marokkanischen Wüste 2013 (»Ich war auch bei den Berbern«) entstand das Reisetagebuch »Wüstenmoos« (Verlag Fuchs und Fuchs). »Reisetagebücher haben ja etwas sehr Fragmentarisches«, sagt sie. Und es steckt so viel Individualität darin.

Augen im Fokus - Schleife im Haar. Cornelia Schleime in der Galerie Michael Schultz, Mommsenstraße 34, Wilmersdorf. Bis 12. Dezember, Di.-Fr. 10-19, Sa. 10-14 Uhr.

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