nd-aktuell.de / 10.12.2015 / Berlin / Seite 11

GEW fordert Abschiebestopp für Familien

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sollen in Berlin ohne Angst vor Ausweisung lernen können

Martin Kröger
Die Bildungsgewerkschaft GEW hat einen Katalog mit sechs Sofortmaßnahmen für die sogenannten Willkommensklassen an Berliner Schulen verabschiedet. Die Senatsverwaltung für Bildung weist die Kritik der Gewerkschaft zurück.

Plötzlich tobt der Krieg im Klassenzimmer. »Es gibt Situationen, da fangen die Schüler mitten im Unterricht an, den syrischen Bürgerkrieg nachzuspielen«, sagt Gökhan Akgün. Der koordinierende Erzieher arbeitet mit jungen Flüchtlingen an der Lenau-Grundschule in Kreuzberg. Für die Pädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen, die mit den teils traumatisierten geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Berlin zu tun haben, stellen die Geschichten und Bilder der Zerstörung aus dem Krieg ebenfalls eine psychische Belastung dar. Eine Betreuung und Beratung gibt es für die Erzieher laut Akgün indes nicht. Überhaupt stellt die Arbeit in den derzeit rund 639 Willkommensklassen (siehe Kasten) mit ihren Tausenden Schülern die Pädagogen vor enorme Herausforderungen. Es würden darüber hinaus Bildungsmaterialien, Räumlichkeiten und gut ausgebildetes Personal fehlen, zählt Akgün die Sorgen seiner Kollegen auf. Häufig gibt es auch Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit den Eltern der Jugendlichen und Kinder. Am extremsten stellt sich die Lage für die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar, die ohne ihre Eltern nach Berlin gekommen sind.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich in den vergangenen Wochen intensiv mit der Situation für die rund 20 000 Kinder und Jugendlichen in den sogenannten Willkommensklassen beschäftigt. Herausgekommen ist ein Forderungskatalog mit sechs Sofortmaßnahmen, der am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. »Nichts behindert Lernen so sehr wie Angst«, erklärte der Vorsitzende der GEW Berlin, Tom Erdmann. Die Bildungsgewerkschaft fordert deshalb an erster Stelle einen »Abschiebestopp für alle Familien mit Kindern und Jugendlichen«, damit diesen eine vernünftige Perspektive geboten wird.

Weitere Aspekte des Forderungskatalogs der GEW sind die Umsetzung des Rechts auf Bildung ohne Einschränkung, unbefristete Arbeitsplätze für neu eingestellte Kollegen, der schnellstmögliche Neu- und Ausbau von Kitas und Schulen, umfangreiche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für die eingesetzten Erzieher sowie Planungssicherheit für das kommende Schuljahr. Damit es genug Plätze für die geflüchteten Schüler gibt , die nach einem Jahr von den Willkommens- in reguläre Klassen wechseln, sollen die Schulen Plätze vorhalten. Die GEW spricht lieber von »Sprachlerngruppe«, weil sie den Begriff »Willkommensklasse« für einen »Euphemismus« hält, wie Erdmann sagt, schließlich würden aus diesen Klassen auch Kinder abgeschoben.

In der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) weist man die Kritik der GEW derweil zurück. »Wir haben nur für die Lerngruppen gerade wieder 70 neue Lehrer eingestellt«, sagt die Pressesprecherin für Bildung, Beate Stoffers, dem »nd«. Insgesamt würden nun 701 Lehrkräfte mit den 6700 Kindern und Jugendlichen in Berlin arbeiten. Den Bereich der Sozialarbeiter und Schulpsychologen habe man überdies bereits im vergangenen Sommer mit einem Sonderprogramm von drei Millionen Euro ausgebaut. Dass es von November (575) bis Dezember (639) erneut einen Aufwuchs bei den Lerngruppen gegeben habe, zeige auch, was die Berliner Schulen stemmen, betont Stoffers.