nd-aktuell.de / 10.12.2015 / Kultur / Seite 18

Älter werden in New York

Im Kino: »Mistress America« von Noah Baumbach

Caroline M. Buck

Schlaksig, linkisch, unbeholfen: alles Begriffe, die wunderbar auf Schauspielerin Greta Gerwig und auf die Figuren passen, die sie spielt. Bohnenstange, Selbstdarstellerin, Glamour-Girl passen (allerdings) mindestens ebenso gut. Greta Gerwig, Muse diverser Indie-Regisseure, ist das US-Ostküsten-Großstadtmädchen schlechthin. Ein Mädchen, das nun allmählich älter wird und sich im Leben neu verorten muss. Gerwig ist eine Chloe Sevigny für die Lachmuskeln: modisch nie weniger als raffiniert, gelegentlich Trendsetter, stets der Mittelpunkt jeder Party. Aber zumindest in den Filmen immer auch eine Selbstüberschätzerin, eine Figur zwischen Komik und Tragödie, ein kommendes altes Mädchen.

»Mistress America« ist Gerwigs dritter Film in Folge mit ihrem derzeitigen Lebensgefährten, Indie-Regisseur Noah Baumbach, und der zweite nach »Frances Ha«, in dem sie mit ihrer Figur ganz im Zentrum steht. Gerwig spielt Brooke, eine Autodidaktin, die alles kann - und doch nichts beherrscht; die als Trainerin in einem Fitness-Center arbeitet, bis sich endlich alle Träume erfüllen werden - oder jedenfalls einer unter vielen; die Pläne und tausend Ideen im Kopf hat, die im Einzelfall gar nicht mal schlecht wären, aber stets an ihrer Unbeständigkeit scheitern.

Wer in so viele Richtungen zugleich läuft, der kommt nirgendwo an. Und so treibt Brooke, die sich als Innendesignerin auslebt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, die aber auch das Schreiben als späteren Traumberuf nicht ausschließt und aktuell gerade große Pläne hat für einen leerstehenden Laden, in dem sie ein Restaurant eröffnen möchte, von einer Party zur nächsten.

Für die stille Tracy (Lola Kirke) aus der Kleinstadt, ist das erste Treffen mit Brooke eine echte Erleuchtung. Tracy hat gerade ein Studium an einer New Yorker Kunstschule für Frauen begonnen, will wirklich Schriftstellerin werden, fühlt sich im Moloch New York aber allein und verlassen. Die einzige Verbindung zu Brooke liegt für Tracy zunächst darin, dass die beiden demnächst Stiefschwestern werden sollen: Tracys geschiedene Mutter will Brookes verwitweten Vater heiraten, da sollen sich die Mädchen schon mal kennenlernen.

Also wird, als Tracy endlich anruft, Brooke zu ihrer Mentorin in allen Dingen, die das New Yorker (Nacht-)Leben betreffen. Und sie wird, mit all ihren Träumen und hochfliegenden Plänen, mit ihrem endlosen Vertrauen in eine Zukunft, die sich schrittweise schon erledigt hat, zu einer Inspirationsquelle für Tracys eigene schreiberische Ambitionen. Und das wiederum verleiht dem Film eine Tiefe abseits der vordergründigen, verblüffenden Ähnlichkeiten der beiden Schauspielerinnen (Gerwig und Kirke könnten tatsächlich Schwestern sein, und nicht nur angeheiratete).

Denn mit der Frage, inwieweit das, was Tracy aus Brookes Leben in ihre Arbeit einfließen lässt, ein Verrat ist an ihrer Stiefschwester-Freundin, werden grundsätzlichere Themen angesprochen. Und plötzlich ist »Mistress America« nicht mehr nur eine perfekte Plattform für Gerwig, um ihren linkischen Glamour, ihre sympathische Unbeholfenheit, ihre letztlich doch ziemlich perfekte Körperbeherrschung in Szene zu setzen. Tracy, die sich am Ende im Gegensatz zu Brooke als uneingeschränkt überlebensfähig erweisen wird, die - mit Brookes unverzichtbarer Hilfe - alles genau richtig macht und genau den Erfolg findet, den sie von vorherein anstrebte, wird sich irgendwann der Schuld bewusst werden, die sie bei Brooke abzutragen hat, und - so jedenfalls bleibt am Ende zu hoffen - sie wird sich auf ihre Art irgendwie revanchieren.