nd-aktuell.de / 19.12.2015 / Kultur / Seite 22

Urlaubsbrust und Sauna to go

Vorsicht: Wo Gesundheit drauf steht, kann Schwachsinn drin sein. Von Silvia Ottow

Silvia Ottow

Daily Dosing ist eine feine Sache. Meint jedenfalls Prof. hc. Dr. med. Axel-Jürg Potempa. Schöner Nachname übrigens für einen Urologen, weil er sich irgendwie anhört wie »potenter«, und welcher seiner Patienten möchte das nicht sein?

Potempa und einige seiner Kolleginnen und Kollegen legen ihrer weniger potenten Kundschaft jedenfalls nahe, täglich eine niedrig dosierte Pille mit dem Wirkstoff Sildenafil einzunehmen - das ist der aus dem bekannten Potenzmittel Viagra. Sein regelmäßiger 18-Uhr-Einwurf sorge beim betreffenden Mann für eine penile Standfestigkeit bis Mitternacht, heißt es in einem Werbepapier der Hersteller. Für diese permanente Dienstbereitschaft können 60 Cent am Tag nicht zu viel sein, oder? Und wenn es mal nichts wird mit dem Sex, ist es auch nicht weiter tragisch, denn im »Anschluss an die akut-durchblutungsfördernde Sildenafil-Phase folgen die nächtlichen Trainingserektionen«. Keine Angst, bei dieser Art von (S)extremsport muss Mann gar nichts machen. Einfach weiterschlafen, fertig.

Viele Menschen - vor allem Frauen - möchten aber gar nicht im Schlaf trainieren. Sie joggen für ihr Leben gern, bis der Schweiß rinnt, das Kreuzband reißt und die Füße ihren Dienst versagen. Dabei werden gern sämtliche Körperfunktionen aufgezeichnet, um sie in Zahlen, Kurven und Frequenzen für die Nachwelt aufzubereiten. Neuerdings kann ein Haargummi den Tracker enthalten, den FBT-70-3D.mini von newgen medicals mit integriertem, hochsensiblem 3D-Beschleunigungssensor. Dieses kleine Apparatchen schickt alles an irgendeine App - wie der Name bereits sagt - und schon kann Frau genau sehen, wie viele Kalorien sie bis zur dritten Birke verbraucht hat. 26,90 Euro kostet das Dingens. Wer keinen Pferdeschwanz hat, muss sich einen wachsen lassen oder er macht den Supertracker am Schnürsenkel fest. Bloß nicht am Handgelenk. Das ist so etwas von oldschool, das geht gar nicht.

Wer joggt, wird ja normalerweise nicht krank, aber was ist schon normal heute? Hat es einen wirklich schwer erwischt, ist guter Rat teuer. Dr. Zhi Gang Sha und Grigori Grabovoi haben lange graben müssen, um die einfachste Heilmethode der Welt auszubuddeln: Zahlen! Und dabei ist das eigentlich gar nichts Neues. Hat Master Zhi Chen Guo schon vor Jahren herausgefunden. Die sogenannte Heilige Heilungszahl heißt 3 396 815; man kann sie im übrigen auch singen und tanzen. Natürlich muss man dazu ein Buch kaufen. Und eine CD. Einfacher und freudvoller kann der Mensch nun wirklich nicht mit seiner Heilzahl in Resonanz treten oder eine Reise durch die Qualitäten der neun Grundzahlen unternehmen, was nach Ansicht der Heilzahlenfreaks ebenfalls sehr hilfreich ist. Ignorante Zeitgenossen glauben immer wieder, mit ihren eigenen Zahlen in Resonanz zu treten würde schon ausreichen. Störrisch versuchen sie, sich zu therapieren, indem sie tapfer die kleinen Zahlenreihen auf ihren Kontoauszügen singen, die sie sich besser merken können als Guos lange Heilzahl. Aber das führt höchstens zu Hautausschlag und Krampfanfällen.

Autobesitzer könnten sich in einem solchen Fall in ihrem Fahrzeug versuchen zu beruhigen. Selbstverständlich nur, wenn sie eine Vibrationsmassageauflage von HoMedics auf dem Fahrersitz angebracht haben. Für 39,99 Euro wird die Autofahrt zum Wellnesstrip. Man braucht keine Überweisung, keinen Termin in der Physiotherapie, muss kein langweiliges Gequatsche anhören; nichts, gar nichts. Nur ein Auto und ein bisschen Treibstoff. Einschalten. Losfahren. Relaxed ankommen. Das Leben kann so schön sein.

Unterstützt wird die medizinische Geisterfahrt von zehn Minuten Sauna to go. Die Sauna kann man in der kalten Jahreszeit am besten ständig bei sich führen. Zusammengeklappt ist sie idealerweise nicht größer als ein schmales Köfferchen, da schleppen doch die Leute ganz andere Sachen mit zur Arbeit. Apropos Arbeit. Die portable Schwitzhütte mit Infrarot-Keramikstrahlern erregt garantiert Aufsehen im Großraumbüro, denn Frau oder Mann kann getrost weiter Papiere studieren, während die Tiefenwärme den Stoffwechsel anregt, die Durchblutung fördert und Verspannungen löst. Was für eine Idee für eine Firma! Während einer Sitzung kann sie für alle Mitarbeiter so ein Ding aufzustellen. Auf diese Weise kann man das Unvermeidbare mit dem Angenehmen verbinden. Pro Stück kostet das ca. 250 Euro, das ist doch eine überschaubare Investition in die Gesundheit der Mitarbeiter. Und die Versammlungen werden kürzer, die Kommunikation weicher und die Stimmen weniger schrill. Die Idee ist wahrhaft innovativ. Aber so was von!

Wenn dann am Arbeitsplatz alle unentwegt gesund sind, verbessern sich auch die Bedingungen für einen ungeplanten Kurzurlaub. Heute wird er eingereicht und übermorgen könnte es schon losgehen. Könnte. Wenn da nicht die eigenen Brüste im Wege stünden. Oder Pardon, eher das Gegenteil: Wenn sie gar nicht zu sehen sind, und Frau im Bikini am Südseestrand gänzlich unbemerkt bleibt. Was dann? Die Brustverschönerungsindustrie hält diese Frage für ein Riesenproblem - obgleich das Herumschnippeln an besagten Körperteilen »zu den beliebtesten Eingriffen im Bereich der Schönheitsoperationen« gehört, wie die Fontana-Klinik in Lilienthal behauptet. Aber die Brustchirurgen wissen natürlich gleichzeitig sehr genau, wie viele unoperierte Frauen noch immer herumlaufen. Da ist noch Luft nach oben, wie im Dirndl-Mieder kurz vor dem Oktoberfest. Mit ein paar Kochsalzspritzen kann dieser unnütze Raum aber schnell prall aufgefüllt werden.

Demnächst vielleicht sogar an einem Stand mitten in der Kaufhalle, wo die Kundin normalerweise neue Käsesorten kostet oder Hautcreme ausprobiert. Fünf Minuten hinsetzen, zwei Mal piksen, Kreditkarte über den Tresen reichen und fertig ist die 24-Stunden-Urlaubs-Brust. In New York soll sie der letzte Schrei sein. In Deutschland hingegen wird schon wieder gewarnt. Das ist so typisch. Was wissen wir hier, das man in den USA nicht weiß? Geht der Trend zur Brustlosigkeit? Ist Kochsalz knapp? Nichts von alledem, nein. Von der Nase über den Hintern bis zu den Schamlippen wird alles vergrößert oder verkleinert, was dafür infrage kommt - ohne Rücksicht darauf, dass es so schrecklich ausgehen könnte wie die Sache mit der Gesichtsoperation (oder besser: den Gesichtsoperationen?) bei einem berühmten Modedesigner aus Potsdam. Mit Brüsten kann das nun wirklich nicht passieren, da gibt es gar kein Risiko. Zur Not kann man Brüste jederzeit mit etwas Kleidung bedecken, wenn bei der Operation nicht alles optimal gelaufen ist. Wolfgang Joop wird nicht gern mit einer Skimaske auf der Nase einkaufen gehen, weil es dann so aussieht, als wollte er die Vitrinen von Schloss Sanssouci ausrauben.

Zum Schluss noch etwas Altes, frisch aus der Druckerei: Wer dem weißschopfigen 74-jährigen österreichischen Lebenskünstler Hademar Bankhofer nacheifern will, der sich seit Jahren auf jedes Gemüsefoto drängt und inzwischen selbst glaubt, alle Menschen verzehrten sich danach, seine Gefühle mitzufühlen, wann immer er in eine Biobirne beißt, der kann freilich dessen neues Buch lesen. Darin steht eine Menge altes Zeugs, etwa in dieser Preislage: Man muss Knochen und Muskeln in Schwung halten, Fitness-Übungen beherrschen, das Richtige essen und trinken, Fröhlichkeit und positives Denken erhalten. Dann wird man so wie Hademar. Falls man das möchte.