nd-aktuell.de / 19.12.2015 / Kommentare / Seite 3

Plakative Sprüche mit viel Kleister

Für Rudolf Walther ist die soziale Spaltung in Deutschland für den Höhenflug der Alternative für Deutschland verantwortlich.

Rudolf Walther

Umfragen zu Wahlabsichten sind mit Vorsicht zu lesen, zumal wenn man den Auftraggeber und die genaue Fragestellung nicht kennt. Hinzu kommen methodische Probleme, denn niemand weiß mit Sicherheit, ob jemand die bei der Umfrage geäußerte Wahlabsicht am Wahltag auch wirklich realisiert. Aus der Rechtsextremismusforschung weiß man immerhin, dass viele Befragte zögern, sich offen zu rechtsextremen Parolen und Parteien zu bekennen - aus Angst vor Rückfragen.

An Umfragen zur AfD herrscht momentan kein Mangel. Der »Spiegel« veröffentlichte Ergebnisse einer Umfrage von Forsa, die für die Rechtspartei bundesweit 10,5 Prozent, für den Osten des Landes 16 und für Bayern zehn Prozent prognostiziert. Der WDR sagt der AfD für NRW fünf Prozent voraus. Fast dasselbe gilt für Rheinland-Pfalz. Die »Bild«-Zeitung präsentierte unter dem Titel »Schock-Umfrage« 13,5 Prozent für die AfD in Sachsen-Anhalt. Und in Sachsen bekäme sie 13 Prozent, wie infratest dimap ausgerechnet hat.

Interessant an diesen Zahlen ist die Tatsache, wonach 16 Prozent der Ostdeutschen, aber »nur« zehn Prozent der Bayern die AfD wählen würden. Da die im Freistaat regierende CSU nicht nur in der Flüchtlingsfrage weit rechts steht, werden die Wahlchancen für die dortige AfD geringer eingeschätzt als im Osten, wo schwarz-rot-goldene Socken und dumpfe Parolen schwer in Mode sind.

Alexander Gauland, der Landeschef der AfD in Brandenburg, ist ein Bespiel für die genuine Nähe des deutschen Konservatismus mit dem Rechtspopulismus, Wohlstandschauvinismus und Nationalismus der AfD. Er nannte die hohen Flüchtlingszahlen »ein Geschenk« für die AfD; die CSU-Häuptlinge Markus Söder und Horst Seehofer destillieren ihre populistischen Muntermacher auch aus der Zuwanderung. Der Rechtspopulismus kostümiert sich zwar national und Fähnchen schwingend, gelegentlich - wie etwa Björn Höcke - auch offen völkisch und rassistisch.

Aber im Kern zeigt der Rechtspopulismus soziale Probleme und soziale Spaltung an. Kein Land profitierte von der europäischen Integration stärker als die Bundesrepublik, wo ein jahrelang andauernder Stillstand beim Wachstum der Reallöhne »den Standort« optimierte, das heißt die Exportchancen auf Kosten des Rests der EU steigerte. Fachleute beziffern den so erlangten Wettbewerbsvorteil auf 15 bis 20 Prozent. In Frankreich breitete sich die Front National (FN) im Windschatten von Arbeitslosigkeit und regelrecht deindustrialisierten Zonen aus. Der Norden Frankreichs ist industrielles Brachland, und das ist auch ein Ergebnis der Wirtschaftspolitik des »Exportweltmeisters« Deutschland. Die FN mobilisiert ihre Wähler erfolgreich mit dem Gespenst eines »deutschen Europa« (Ulrike Herrmann in der »tageszeitung«) und entfesselt so nationalistische Abwehrreflexe.

Aber auch im Inland fördert das Gefälle zwischen Teilhabern am wirtschaftlichen Erfolg und den davon Ausgeschlossenen die soziale Spaltung, die Entsolidarisierung und national unterlegte Ressentiments gegen Fremde und Flüchtlinge, die pauschal zu Sündenböcken erklärt werden. Ausgegrenzte, abgehängte und von Abstiegsängsten getriebene Menschen wenden sich der AfD zu.

Der Vormarsch der FN in Frankreich, der AfD in Deutschland und anderer Rechtspopulisten bedroht die EU nicht direkt, denn kein Land kann es sich leisten, die Union zu verlassen. Das würde ihm immer mehr schaden als der EU. Aber die national orchestrierte Dynamik höhlt die nationalstaatliche und die europäische Politik insofern aus, als sie jene politischen Kräfte lähmt, die die wirtschaftliche, politische und soziale Integration und den sozialen Ausgleich zwischen Armen und Reichen fördern wollen im Inland und in der EU. Der AfD-Populismus verkleistert diese Zusammenhänge mit plakativen Sprüchen.

Die soziale Spaltung ist überall in Europa der Ernstfall. Der demonstrative militärische Schulterschluss besonders von Deutschland und Frankreich dagegen ist nur ein mediales Narkosemittel, das weder der EU noch Frankreich aus der Krise hilft.