Republik im Untergang

Robert Harris beendet mit »Dictator« - analogiereich - seine Trilogie über Cicero

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Brite Robert Harris (Jahrgang 1957 und promovierter Cambridge-Absolvent) ist seit seinem Durchbruch mit »Vaterland« in seinen Romanen ein politischer Autor geblieben, der sich seine Stoffe abwechselnd in der Antike und in der Gegenwart sucht. Das jetzt erschienene »Dictator« beschließt sein dreibändiges Werk über Cicero, den großen römischen Redner, Politiker und Philosophen, der von 106 bis 43 v. Chr. lebte, Zeitgenosse Cäsars war und in den Wirren des Bürgerkriegs wie jener ermordet wurde. Ein Großteil der Schriften von Marcus Tullius Cicero ist erhalten. Auch ist Cicero bekannt als Schöpfer der ewig aktuellen, auf den Kern einer Sache zielenden Frage »Cui bono?«. Und er hat seinen Namen einem Schriftgrad sowie dem Cicerone geliehen, dem Fremdenführer, der seiner Beredsamkeit wegen im Italienischen bis heute mit dem historischen Vorläufer verglichen wird. Scherzhaft.

Robert Harris liefert mit dem Abschlussteil seiner Trilogie ein blutvoll-griffiges Porträt der letzten 15 Lebensjahre des Protagonisten, seiner Familie und vor allem seines Behauptungswillens in einer Zeit und einem Reich, das größten Turbulenzen ausgesetzt war: Verschwörungen zum Sturz der Republik, Hinrichtungen, Expansions- und Unterdrückungskriege in allen Himmelsrichtungen, verdeckter und offener Bürgerkrieg sowie Herrscher im Dreierpack, die nichts ernsthafter suchen als die Alleinherrschaft. »Zumindest bis zu den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945«, behauptet Harris in der knappen, zweiseitigen Einführung mit einiger Berechtigung, »umfasst Dictator wohl die dramatischste Periode der Menschheitsgeschichte.«

Dass auch dieser dritte Band so lehrreich und so unterhaltsam geriet, verdankt sich mehreren Umständen: Harris hat intensiv Quellen studiert, die Kriegs- und Krisenjahre des ersten Jahrhunderts vor Christus zählen zu den bestdokumentierten Epochen der klassischen Geschichte, Harris konnte auf viele Originalschriften Ciceros zugreifen, und Harris, der seine Eleganz bei der Verbindung faktischer und fiktiver Elemente schon oft bewiesen hat, ist ein sehr guter Erzähler.

»Dictator« schildert, auch diesmal aus dem Blickwinkel von Tiro, dem treuen Sklaven und Freund, der eine mehrbändige Cicero-Biografie hinterließ, die menschlichen und politischen Siege und Niederlagen, die philosophische Weitsicht und Gelassenheit, aber auch das taktische Geschick einschließlich der Gabe zu großen Würfen wie zu faulen Kompromissen seines Meisters. Ciceros Anwalts-Talent zu »bedrohlicher Freundlichkeit« leuchtet ebenso auf wie sein Ringen zur Bewahrung der Republik, seine Klarsicht gegenüber Diktatoren wie Pompeius und Crassus, Cäsar und Antonius ebenso wie seine Fehleinschätzung heraufziehender Diktatoren wie Octavian, der nach Ciceros Tod zu Augustus, dem ersten römischen Kaiser, werden sollte, ein Titel, der sich sprachlich aus dem Wort Cäsar herleitet.

Robert Harris geht es auch diesmal um die Verlockungen, Verführungen und Verstrickungen der Politik. Hier wieder in der Antike, nachdem er in »Ghost« ein kaum verhülltes Porträt des britischen Premierministers Tony Blair geschrieben und verdeutlicht hatte, dass »Scheitern das Wesen aller Politik« ist. Die Moral von Ciceros Geschichte lautet: Intelligenz, Wendigkeit und Machtgespür helfen einer politischer Karriere, doch wenn unter den Eigenschaften Skrupellosigkeit fehlt, die Bereitschaft, in entscheidenden Augenblicken jeden Anflug von Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn, Scheu vor Verbrechen, Zweifel und Angst abzustreifen, dann wird dem Politiker längerer Erfolg versagt bleiben. Tiros Beobachtung: »Die Macht beschert einem Mann allerlei Annehmlichkeiten, zwei saubere Hände gehören allerdings nur selten dazu« bündelt das Panorama, das Cicero vorfindet und vorübergehend prägt.

Für Harris ist das antike Rom eine Bühne mit wechselnden Kulissen und Charakteren, aber einer Konstante: der Intrige und der Gewissheit, dass alle Akteure käuflich sind. So sehr der »Dictator« - wie die Vorgänger »Titan« (2009) und »Imperium« (2006) - vor Christus angesiedelt sind, so heutig ist das dort entrollte Knäuel aus Raffgier, Selbstherrlichkeit und Niedertracht, aus Arglist, Täuschung und Machthunger. Das gilt, etwa, für den Wahnsinn, in den Cäsars militärische Erfolge ihn über den Zwischenstopp der Selbstherrlichkeit trieben. Oder für die Pflicht, die Cäsar verspürt, ehe er zu einem weiteren Feldzug aufbricht: »Vorher«, hielt Ciceros Gedächtnis Tiro fest, »musste er noch die Ergebnisse der Wahlen für die kommenden drei Jahre festle᠆gen ...« Je mehr im Rom Cäsars und Ciceros von Nächstenliebe, Patriotismus und anderen Tugenden die Rede ist, desto mehr werden tatsächlich Gewinn- und Machtinteressen ausgekämpft, getreu dem Motto, nie aktueller als in Zeiten von Flüchtlings-, Griechenland- oder VW-Krise: Der Eigennutz spricht alle Sprachen, nicht selten die der Selbstlosigkeit.

Robert Harris ist Anfang der 90er Jahre mit »Vaterland« weltbekannt geworden, einer Groteske, in Berlin angesiedelt und von der Spielidee getragen, die Nazis hätten den Krieg gewonnen. Mit »Dictator« schließt er eine Trilogie ab, die trotz Gedränges an Büchern über Cicero einen Platz von bleibendem Wert über unser Bild vom klassischen Altertum finden kann.

Robert Harris: Dictator. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne, 528 S., geb., 22,99 €.

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