nd-aktuell.de / 22.12.2015 / Politik / Seite 6

Flüchtlinge wie Stückgut

Die Zahl der Abschiebungen hat sich in den vergangenen Monaten deutlich erhöht

Aert van Riel
Einige Bundesländer haben ihre Abschiebepraxis verstärkt. Dies lässt sich insbesondere in Bayern und Hessen beobachten.

Flüchtlinge werden zuweilen mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen geholt und dazu gezwungen, in ihre Herkunftsländer zurückzufliegen. Diese von linken Politikern und Initiativen kritisierte Praxis erlebten am Mittwoch 106 Serben, die aus Thüringen abgeschoben wurden. Ähnliche Fälle häufen sich. In den ersten elf Monaten dieses Jahres wurden fast doppelt so viele Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückgebracht wie im Vorjahr. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bis Ende November 18 363 Menschen abgeschoben. Im Jahr zuvor hatte die Gesamtzahl bei 10 884 gelegen. Allerdings dürfte die Zahl noch höher sein, weil die Statistik auf Angaben der Bundespolizei basiert, die bei dem Großteil der Abschiebungen beteiligt ist, aber nicht bei allen Fällen.

Sehr stark wuchs die Zahl der Abschiebungen im CSU-Land Bayern - um mehr als das Dreifache von 1007 auf 3643. Auch in Hessen verdreifachte sich die Zahl nahezu von 829 auf 2306 Abschiebungen. Janine Wissler, Linksfraktionschefin im Wiesbadener Landtag, sprach von einem »Armutszeugnis« für die mit der CDU regierenden Grünen. Die Ökopartei lässt ihren Ankündigungen, eine humane Flüchtlingspolitik betreiben zu wollen, oft keine Taten folgen. In Baden-Württemberg, wo der Grüne Winfried Kretschmann die Regierung anführt, verdoppelten sich die Abschiebezahlen von 1080 auf 2140.

Laut Pro Asyl erfolgten fast 50 Prozent der Abschiebungen in EU- oder Schengen-Staaten. Wissler kritisierte das »nicht funktionierende Zuständigkeitssystem«, in dem Menschen wie Stückgut hin- und hergeschoben werden. Hintergrund ist die Dublin-Regelung, wonach der EU-Staat für Aufnahme und Asylverfahren zuständig ist, in dem Flüchtlinge die EU zuerst betreten.

Um die schnellere Ausweisung zu ermöglichen, hatte die Bundesregierung im Oktober verschiedene Gesetze geändert. Unter anderem ist nun vorgesehen, dass der konkrete Abschiebetermin nicht mehr genannt wird, um den Flüchtlingen die Möglichkeit zu nehmen, vor der Abschiebung unterzutauchen.

Mit den Maßnahmen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen könnte die Große Koalition auch den Streit um die von Teilen der CDU, der AfD und der CSU geforderten Obergrenzen für Asylbewerber befrieden. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, über das die ARD berichtete, bestehen ohnehin große Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit von Obergrenzen. Grundsätzlich stellte das Gutachten fest, dass das EU-Asyl- und Flüchtlingsrecht keine Regelungen enthalte, »die eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufnahme von international Schutzsuchenden vorsehen«.

Dies ist nicht die einzige Einschätzung, die dieser Tage im Widerspruch zu Aussagen von Horst Seehofer steht. Überlegungen des CSU-Chefs über eine »Soli«-Verlängerung wegen der Flüchtlingskosten wurden sogar in den eigenen Reihen abgelehnt. »Die Frage des Solidaritätszuschlags stellt sich im Zusammenhang mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, betrifft also die Zeit ab 2020 und kann nicht jetzt in Zusammenhang mit der Belastung durch die Flüchtlinge beurteilt werden«, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Der Linksfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch nannte die Diskussion im Deutschlandfunk »absurd und populistisch«, weil es noch keine Entscheidung des Bundestags gebe, dass der Soli schrittweise zurückgeführt wird.