nd-aktuell.de / 04.01.2016 / Politik / Seite 6

Superbrokkoli als Streitfall

Das Europäische Patentamt in München ist regelmäßig Austragungsort gesellschaftlicher Kontroversen

Rudolf Stumberger
Wenn etwas in München patentiert wird, so hat der Inhaber dieses »Gewerbescheines« das Recht, anderen die Nutzung seiner Erfindung zu gestatten oder zu untersagen. Eigentlich ganz einfach. Eigentlich.

München, an der Isar gegenüber dem Deutschen Museum. Hier streckt sich seit 1980 der zehnstöckiger Bau des Europäischen Patentamtes (EPA) in die Höhe. Wer rein will, muss den Personalausweis vorzeigen. Ingenieure und Wissenschaftler prüfen die mehr als 200 000 Patentanmeldungen pro Jahr. Doch hier geht es nicht nur um Technik: Das EPA ist auch ein Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Etwa, wenn es um die Patentierung von Medikamenten oder Pflanzen und Tiere geht.

2014 wurden hier genau 274 174 Patente eingereicht und 64 400 genehmigt. Die meisten davon stammten aus den USA (22 Prozent), gefolgt von Deutschland (20 Prozent) und Japan (17 Prozent). Bei den Firmen stand Samsung mit 2541 Patentanträgen an der Spitze, gefolgt von Philips (2317) und Siemens (2133). Inhaltlich stellten Maschinenbau und Energiesektor den zweitgrößten Bereich, danach kamen digitale Kommunikation, Computertechnologie und Transport. Den größten Bereich stellte mit 11 124 Neuanmeldungen aber die Medizintechnologie, hier geht es um Patente auf Prothesen, Herzschrittmacher oder Computer-Tomographen.

Das ist das Arbeitsgebiet von Philippe Lahorte. Lahorte ist Belgier, Ingenieur der Physik und einer der rund 4000 Sachverständigen, die hier am EPA in München die Patentanträge beurteilen. Auf seinem Schreibtisch liegt eine umfangreiche Akte mit der Nummer »INV A61F5/00«. Damit ist klar, dass es sich um ein »mechanisch-chirurgisches Instrument« handelt. Genauer gesagt um ein »Instrument zur Behandlung von gastroösophagealem Reflux und Hiatushernie«. Dahinter verbirgt sich ein Gerät, mit dem man den Magen verkleinern kann. Erfunden hat es eine Firma aus England und die will ihre Erfindung nun durch das EPA schützen lassen.

Während rein technische Lösungen dabei meist wenig strittig sind, ist dies bei Medikamenten und Biotechnologie nicht der Fall. Das EPA steht hier im Fokus gesellschaftlicher und ethischer Auseinandersetzungen. So ist aktuell ein Einspruch der medizinischen Nichtregierungsorganisation (NGO) »Ärzte der Welt« gegen das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi der US-Firma Gilead mit dem Wirkstoff Sofosbuvir anhängig. Es ist das erste Mal in Europa, dass eine NGO diesen Weg wählt, um den Zugang zu Arzneimitteln zu verbessern. Die Kritik des »Ärzte der Welt«-Netzwerkes richtet sich gegen die Preispolitik des Konzerns: »Wir setzen uns für den universellen Zugang zu medizinischer Versorgung ein«, so Jean-Francois Corty, Leiter der Inlandsprojekte von Ärzte der Welt Frankreich. Auch in wohlhabenden Ländern wie Frankreich, Deutschland oder England gefährde der hohe Preis des »1000-Dollar-Medikaments« die Existenz der solidarischen Gesundheitssysteme. Die Verhandlung zum Einspruch am EPA in München soll im Frühjahr stattfinden.

Ein weiterer umstrittener Bereich bei Patenten betrifft Lebensmittel. Wie bei dem Patent Nr. EP 1069819, eingereicht von der Firma »Plant Bioscience Limitid« aus dem englischen Norfolk. Dabei geht es um die Züchtung einer Art von Super-Brokkoli, der angeblich krebsbekämpfende Wirkstoffe enthält. Das im Jahre 2002 ausgestellte Patent gilt für das Zuchtverfahren, die Pflanze, ihre essbaren Teile und das Saatgut. Die Rechte an dem Brokkoli-Patent hat mittlerweile der US-Konzern Monsanto erworben und vermarktet wird die Pflanze unter dem Namen »beneforte«, sie ist in englischen Supermärkten zu kaufen.

Kritik an einer derartigen Patentierung von Lebewesen kommt aus vielen Richtungen, so wird das internationale Bündnis »Kein Patente auf Saatgut« von über 300 internationalen Organisationen und Bauernverbänden unterstützt. Das Bündnis sieht in der Patentierung von Pflanzen und Tieren eine systematischen Missbrauch des Patentrechtes. Dabei gehe es nicht mehr um den Schutz von Erfindungen, sondern um die Kontrolle der Grundlagen der Welternährung durch Großkonzerne - vom Saatgut bis zum Salatöl. Bündnissprecher Christoph Then spricht von internationalen Konzentrationsprozessen und einer Monopolisierung des Saatgutes, durch die Abhängigkeit der Bauern von den Großkonzernen werde der Wettbewerb erstickt und die züchterische Vielfalt verhindert. Denn Züchter dürfen patengeschützte Pflanzen nur weiterzüchten, wenn der Hersteller einverstanden ist.

Das Brokkoli-Beispiel macht auch deutlich, wie das EPA funktioniert und wo die Schwachstellen der Konstruktion liegen. Denn nach der Patenterteilung an Bioscience Limited legten die Zuchtkonzerne Limagrain aus Frankreich und Syngenta aus der Schweiz im Jahre 2003 Einspruch ein. Der Fall wurde zusammen mit einem ähnlichen Patent auf Tomaten der höchsten Entscheidungsinstanz des Amtes, der Großen Beschwerdekammer vorgelegt. Die entschied im März 2015, dass die Patente rechtens seien.

Die Beschwerdekammer urteilte aber nicht über die einzelnen Fälle, sondern fällte eine Grundsatzentscheidung: Pflanzen und Tiere, die mit »im wesentlichen biologischen Verfahren« gezüchtet werden, dürfen patentiert werden. Damit beruht das Brokkoli-Patent auf konventioneller Züchtung und nicht auf einer Erfindung. Die Beschwerdekammer hatte so entschieden, obwohl die EU-Biopatentrichtlinie 98/44/EC und der Artikel 53b des Europäischen Patent Übereinkommens festlegen, dass derartige Verfahren der natürlichen Züchtung nicht patentierbar seien. Insgesamt sind laut »Keine Patente auf Saatgut« beim EPA bisher rund 7500 Patentanmeldungen auf Pflanzen und etwa 5000 auf Tiere eingegangen, 3800 wurden bereits erteilt, 120 erteilte Patente betreffen konventionelle Züchtungen.

Um den Hintergrund der Auseinandersetzung zu verstehen, ist es sinnvoll, sich den Start des EPA im Jahre 1973 anzusehen. Das Amt ist Teil der Europäischen Patentorganisation, gegründet von 16 Staaten. Heute sind 38 Nationen, darunter neben den EU-Ländern zum Beispiel auch die Schweiz, Island, Norwegen und die Türkei Mitglied. Das Europäische Patentamt ist eine internationale Behörde und kein Teil der EU, unterliegt damit auch nicht der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofes. Seine Rechtsgrundlage ist das von den Mitgliedsstaaten verabschiedete Europäische Patent Übereinkommen, die Kontrolle liegt beim Verwaltungsrat, der aus Delegierten der Mitgliedsländer besteht.

Kritiker wie Christoph Then werfen dem Patentamt vor, dass durch die gegenwärtige Auslegung der Gesetze wie beim Super-Brokkoli die bestehenden Verbote im Patentrecht wirkungslos würden. Die Patentvergabe sei von einseitigen wirtschaftlichen Interessen angetrieben. Then: »Das Patentamt verdient ja daran, Patente zu erteilen.« Und es fehle sowohl an unabhängiger Gerichtsbarkeit als auch an politischer Kontrolle und der Teilnahme der Öffentlichkeit.