nd-aktuell.de / 06.01.2016 / Politik / Seite 11

Verdächtige Insekten

Die Suche nach NS-Raubgut in Museen zielt nicht nur auf Kunst - ein Bericht aus Bremen

Alice Bachmann, Bremen
Im Übersee-Museum Bremen gibt es etliche Zugänge aus der Nazi-Zeit, manches mit unbekannter Herkunft kam auch noch später in den Bestand. Das Haus lässt untersuchen, ob NS-Raubgut darunter ist.

Wie viele Exponate sich hinter den rund 100 000 Nummern der Völkerkundlichen Abteilung des Bremer Übersee-Museums verbergen, lässt sich schlecht schätzen. Bettina von Briskorn, zuständig für die Provenienzforschung des Museums, weiß von allein über 600 000 Einzelinsekten im Magazin und in Schaukästen, die nicht einzeln nummeriert sind.

Die Insekten beschäftigen die Expertin sehr, denn eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Suche nach »verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut«. Der Begriff Provenienzforschung stammt aus der Kunstgeschichte: Es geht darum, die Herkunft eines Werkes zu klären. Mittlerweile wurde die Bedeutung ausgeweitet auf die Suche nach Nazi-Raubkunst oder Dingen, die von Nazis Verfolgte zwangsweise »verschenkten« oder deutlich unter Wert verkauften. Das vor einem Jahr in Magdeburg gegründete »Deutsche Zentrum Kulturgutverluste« koordiniert die bundesweite, von der Bundesregierung finanziell unterstützte Suche.

Meist handelt es sich bei Raubkunst um Artefakte, im Bremer Übersee-Museum können es jedoch auch Insekten sein. Seit der Gründung des Museums vor 119 Jahren unter dem Namen »Städtisches Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde« bekam es Schenkungen und Spenden von Bremer Kaufleuten, die in Übersee arbeiteten oder lebten. Darunter viele Insektensammlungen.

Die Bremer Forscherin von Briskorn befasst sich zunächst mit allen Zugängen aus den Jahren 1933 bis 1945. Auf lange Sicht müssten aber alle Zugänge nach 1945 überprüft werden, wie sich aus dem Fall des Kunstsammlers Gurlitt ergibt. Die Skala der Bewertung reicht von unbelastet über lückenhafte Provenienz und bedenklich bis zu eindeutig belastet. Von Briskorns Ansatz ist es, möglichst alle gestohlenen oder abgepressten Stücke zu finden, egal wie klein sie sind. Schließlich geht es um den Ruf des Museums. Wird etwas nach akribischer Detektivarbeit als Raubgut identifiziert, geht die Suche erst richtig los - die Suche nach Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer.

Die Prüfung der betreffenden Eingangsbücher des Übersee-Museums ergab beim ersten Betrachten unter 1200 Eintragungen sieben auffällige, von denen sich bisher jedoch keine als Raubgüter identifizieren ließen. Die Gestapo selbst tauchte kein Mal als Herkunft auf, aber das Bremer Rathaus wird 1942 als Lieferant eines Walross-Schädels genannt. Im Laufe der Recherche verlor sich der Verdacht aber schnell. Der Walross-Schädel gehörte schon vor der Nazi-Herrschaft dem Bremer Rathaus. Das wurde 1942 aus Sicherheitsgründen geräumt und der Tierkopf deshalb dem damals »Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum« genannten Haus übergeben.

Die 20 Kästen mit Insekten, die die US-Army Ende 1945 im Museum ablieferte, bereiten der Provenienz-Beauftragten dagegen Kopfschmerzen. Die Fundstücke waren unbekannter Herkunft, passten aber zum Sortiment des Museums.

Eigentlich pflegen Insektensammler jedes einzelne, noch so kleine Insekt mit einem Schildchen zu versehen, aus dem - wenn es gründlich gemacht wurde - Fundort, Datum, Finder und Sammler zu ersehen sind. Das würde die Herkunftsbestimmung bei den 20 Kästen sehr erleichtern, doch Hausmitarbeiter haben die Insekten gesichtet, umsortiert und im Laufe der Zeit in andere Sammlungen integriert. Da die ursprünglichen Kollektionen also nicht mehr beisammen sind, musste sich die Provenienzforscherin in die Insektenkunde einarbeiten. Inzwischen kann sie aus ein paar winzigen Kürzeln auf einem vergilbten Minizettel herauslesen, um welches Insekt es sich handelt, wo es lebte, bei wem es blieb und auf welchem Wege es ins Museum kam.

Das Problem ist aber: Von Briskorn weiß nicht, wo unter den rund 600 000 Insekten die Exponate aus den 20 Kästen verteilt wurden. Im Museum wird nach eigenen Kriterien archiviert und katalogisiert. Waren in einem Kasten zum Beispiel Bienen und Wespen gemischt, so wurden diese aufgeteilt. »Man muss«, so sagt die Expertin im Gespräch mit »nd«, »eine sehr hohe Frustrationsschwelle haben.«