Atypisch ist das neue typisch
Grit Gernhardt regt sich über unternehmerische Kurzsichtigkeit auf
Teilzeit, Befristung, Unterbezahlung - die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse wächst, besonders bei den Unter-35-Jährigen. Doch wenn eine ganze Generation sich von Kurzzeitstelle zu Kurzzeitstelle hangeln, mit Nebenjobs ihren Lebensunterhalt sichern oder gar dankbar für unbezahlte Praktikumsstellen sein muss, kann längst nicht mehr von atypischen Verhältnissen die Rede sein. Vielmehr scheint ein prekärer Arbeitsmarkt für hunderttausende junge Menschen zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein - mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft: Ohne wenigstens grundlegende monetäre Sicherheit schwindet auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Unzufriedenheit wächst, die Lebensplanung verändert sich.
Beschwerden über fehlenden Nachwuchs und spätgebärende Akademikerinnen laufen ins Leere, solange ein Umfeld fehlt, in dem Familienplanung auch in jungen Jahren möglich ist. Und für die Betriebe selbst ist die eigene Beschäftigungspolitik ebenfalls eine Milchmädchenrechnung: Zwar sparen sie kurzfristig Geld, allerdings sind unterbezahlte und aufgrund mangelnder Anerkennung unzufriedene Mitarbeiter auf Dauer keine besonders produktiven Angestellten, das zeigen viele Studien. Doch solche Kurzsichtigkeit in sozialen Fragen ist sowohl für die Unternehmen als auch für die herrschende Politik alles andere als atypisch.
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