nd-aktuell.de / 14.01.2016 / Sport / Seite 19

Die ungleiche Liga

Der polnische Handball boomt, doch im Land des EM-Gastgebers profitieren nur drei Klubs und das Nationalteam

Thomas Dudek
Dank der Investitionen privater Geldgeber und polnischer Staatskonzerne, wurden drei Handballklubs im Land des EM-Gastgebers feste Größen in Europa. Die restlichen Vereine sind jedoch arm.

Die Generalprobe für die am kommenden Freitag beginnende Handball-Europameisterschaft wurde für die Polen zu einer ordentlichen Klatsche. 12:26 verloren die Gastgeber am Sonntag gegen Spanien, den ersten Gruppengegner der deutschen Nationalmannschaft. Doch trotz der kalten Dusche: Die Vorfreude auf das Turnier ist an der Wisła weiterhin groß. Nicht ganz grundlos, wenn man auf die Entwicklung des polnischen Handballs zurückblickt. Die Nationalmannschaft gehört seit Jahren zu den besten der Welt und die Superliga wird von Saison zu Saison besser, was in der Champions League vor allem Vive Tauron Kielce eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Welch Renommee die polnische Liga mittlerweile genießt, zeigt die immer größere Anzahl von polnischen Nationalspielern, die in der Heimat ihr Geld verdienen. Während der Großteil der WM-Mannschaft von 2007 vor allem in der Bundesliga spielte, gehören heute nur noch sieben Legionäre zum erweiterten Kader von Trainer Michael Biegler. Durch die Insolvenz des HSV Hamburg könnten es sogar bald noch zwei weniger werden.

»Der Aufschwung begann 2008, als Bogdan Wenta Trainer in Kielce wurde«, sagt Wojciech Osiński, Handballexperte der größten polnischen Sportzeitung »Przegląd Sportowy«. »Von da an kehrten jedes Jahr ein bis zwei Spieler nach Polen zurück, vor allem nach Kielce«, so der Journalist. Gleichzeitig war die Rückkehr des verlorenen Sohnes Wenta, der als aktiver Spieler in die deutsche Nationalmannschaft gewechselt war, bevor er 2004 polnischer Nationaltrainer wurde, ein Signal an die Liga. »Mit seinem Amtsantritt in Kielce begannen auch die anderen Vereine zu investieren« erklärt Osiński. Allen voran Orlen Wisła Płock, wo jedoch vor allem ausländische Profis verpflichtet wurden.

Trotz aller Investitionen in anderen Klubs blieb Kielce seit den frühen 1990er Jahren die führende Kraft in der polnischen Liga. »Es waren aber nur Erfolge auf nationaler Ebene. Internationale Auftritte waren eher selten«, erinnert sich der in Kielce lebende Paweł Matys, Sportjournalist der »Gazeta Wyborcza«. »Eine feste Größe in der Champions League wurde der Verein erst durch den Einstieg von Bertus Servaas.« Dabei hatte der Unternehmer bis zu Beginn seines Engagements im Jahr 2002 kein besonderes Interesse am Handball gezeigt. »Irgendwann wurde ich von Geschäftspartnern zu einem Spiel der Mannschaft eingeladen. Und da hat es mich gepackt«, erklärte der gebürtige Niederländer einmal.

So sehr, dass Servaas, der sein Geld mit dem Handel von Gebrauchtkleidung machte, kurzentschlossen in den Klub investierte, als sich der damalige Hauptsponsor aus dem Handball zurückzog. »Zuerst pumpte Servaas sehr viel eigenes Geld in den Verein«, sagt Matys. Doch mit der Zeit erwies sich der Geschäftsmann, der auch polnischer Staatsbürger ist, als talentierter Sportmanager, der immer potentere Sponsoren an den Verein binden konnte. Allen voran den staatlichen Energiekonzern Tauron. Ein finanzkräftiger Investor, der bei Servaas’ hohen Zielen unvermeidlich ist. »Ich will die Champions League gewinnen«, erklärte der 52-Jährige kürzlich in einem Fernsehinterview.

Ein Erfolg, der durch die EM im eigenen Land Realität werden könnte. »Wenn die polnische Nationalmannschaft bei dem Turnier erfolgreich spielt, könnte die Liga für Sponsoren noch interessanter werden«, sagt Matys. Was durchaus notwendig ist, wenn man über die Spitzenteams aus Kielce und Plock hinaussieht. »Bis auf Azoty Puławy, der dritten Kraft der Liga, wird bei den restlichen neun Vereinen höchstens semi-professionell gespielt«, erklärt Journalist Wojciech Osiński. »Die großen Staatskonzerne sponsern die Liga und die drei Topklubs. Doch der Rest der Vereine ist arm«, fügt Osiński hinzu.

Fraglich ist aber, ob die Nationalmannschaft langfristig von der Entwicklung der Liga profitieren wird. Daran haben jedenfalls einige ihre Zweifel. »Dass immer weniger junge Spieler ins Ausland gehen, birgt Gefahren« erklärt Osiński. »Denn dort kann man wichtige Erfahrungen sammeln und so zu einem noch besseren Sportler werden.«