Hässliches Entlein war gestern

Auch ohne Kulturhauptstadttitel ist Malaga der große Gewinner. Von Heidi Diehl

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.

Gerade mal neun Zeilen ist Malaga einem Reiseführer aus dem Jahr 2003 wert. Und die sind noch dazu wenig schmeichelhaft. »Die 550 000 Einwohner zählende Hafenstadt besticht weniger durch Schönheit als durch vitalen Charme und Lebensfreude«, heißt es da. Was nichts anderes bedeutet, als: Malaga ist ein Ort des Massentourismus, an dem Kegelklubs »die Sau rauslassen«.

2003 war auch genau jenes Jahr, als der spanische Ort an der Costa del Sol, der mit seiner 2700 Jahre alten Geschichte zu den ältesten Städten Europas zählt, einen ersten Paukenschlag setzte, um das miserable Image abzulegen: Das Museum Picasso öffnete und setzte dem größten Sohn Malagas ein würdiges und weltweit beachtetes Denkmal. Zu verdanken hatten das die Stadtväter Paloma Picasso, der jüngsten Tochter des Malers, die ihnen anbot, einen Teil der Werke aus dem Nachlass ihres Vaters der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Stadt dafür den heruntergekommenen Palacio de Buenavista - ein Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert -, unweit des Geburtshauses des Künstlers kauft und saniert. Diese ließ sich die einmalige Chance nicht entgehen, richtete alles vom Feinsten her und gründeten eine Stiftung. Dafür überließen die Erben der Stadt rund 200 Werke, die sie nun für zunächst 50 Jahre zeigen darf. Als ob die Kunstinteressierten nur darauf gewartet hätten, strömten sie in das neue Museum inmitten der zum größten Teil noch maroden Altstadt, die bis dahin sogar von den Spaniern gemieden wurde, weil sie ebenso schmutzig wie unattraktiv war und zum Teil sogar als gefährlich galt.

13 Jahre später kann man sich das beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Wo einst der Putz bröckelte, die meisten Läden leer standen und wo es bestenfalls Fast Food zu essen gab, bummeln heute Einheimische wie Touristen aus aller Welt durch die engen Gassen, bewundern die sanierten Häuser, genießen in vielen gemütlichen Bodegas die andalusische Küche und die Weine aus der Region.

Obwohl Picasso schon 30 Jahre tot war, als sein Museum eröffnet wurde, ist es wohl nicht falsch zu behaupten, dass er es war, der einen Schalter in den Köpfen der Stadtväter umgelegt hat. Sie beschlossen nämlich zeitgleich mit dem Bau des Museums einen gigantischen Plan für einen grundlegenden Imagewandel Malagas, mit dem Ziel, bis 2015 das hässliche Entlein in einen schönen Schwan zu verwandeln. Mit Milliardengeldern aus dem Tourismus, von der EU, von Zentral- und Regionalregierung - und mit Gottes Hilfe. Denn Gottvertrauen war schon nötig bei diesem Vorhaben.

Allein die Pläne zur Umgestaltung des Hafengeländes verlangten fast übermenschliche Fantasie, um sich vorzustellen, wie sich die vermüllte Industriebrache zu einer prachtvollen Bummelmeile mit Cafés, Restaurants, Geschäften sowie einem Jachthafen und Kreuzfahrtterminal entwickeln könnte. Und noch mehr schrien sie nach handfestem Zupacken. Fast alles ist inzwischen schönste Realität. Die Schleife aufs Paket wurde am 28. März 2015 gebunden. Da nämlich öffnete das Pariser Centre Pompidou an der neuen Mole seine erste Auslandsdependance - wenn vorerst auch nur für fünf Jahre. Die Option auf länger hat Paris aber bereits gegeben, vorausgesetzt, das Museum wird ein Erfolg. Das will die Stadt doch hoffen, denn schließlich hat sie nicht nur rund fünf Millionen Euro in den Bau des mit seinen riesigen farbigen Glasfronten futuristischen Gebäudes investiert, sondern muss auch jährlich rund 1,5 Millionen Euro Leihgebühr für die Ausstellungsstücke an das Mutterhaus zahlen.

2010 wagte Malaga einen weiteren sehr mutigen Schritt und bewarb sich als eine von 14 spanischen Städten zur europäischen Kulturhauptstadt 2016. Die Chance, den Zuschlag zu bekommen, war von vornherein nicht sehr groß, dennoch sorgte allein die Bewerbung für einen neuen Schub und noch größere Anstrengungen, den Wandel Malagas von der einstigen Industrie- zur Kultur- und Kunststadt zu vollenden. Umso größer war die Enttäuschung, als das Aus schon in der Vorentscheidung kam.

»Ich war anfangs schon ziemlich traurig«, erzählt Vladimir Jescht, ein Russlanddeutscher aus Kirgistan, der zunächst in Kassel und Berlin studierte und dann ein Erasmusstipendium bekam, das ihn vor zehn Jahren nach Malaga führte. Weil es ihm dort so gut gefiel, blieb der heute 38-Jährige und gründete sein Unternehmen »Bike to Malaga«. Man kann sich bei ihm Räder leihen, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden, oder mit Vladimir auf eine dreistündige Tour gehen. »Ob mit oder ohne offiziellem Titel, diese Stadt ist jede Reise wert«, schwärmt er von seiner neuen Heimat. »Was sich hier in den letzten zehn Jahren verändert hat, sucht sicher seinesgleichen.«

Vladimir radelt mit seiner Gruppe quer durch die Stadt, vorbei an Picassos Geburtshaus, der alten Markthalle, dem neobarocken Rathaus, entlang des Römischen Theaters aus der Zeit von Kaisers Augustus, über dem sich die Zitadelle aus dem 11. Jahrhundert erhebt, durch die mit Marmor gepflasterte Fußgängerzone bis hin zur alten Tabakfabrik. Als in dem jetzt aufs Feinste sanierten Jugendstilgebäude in den 1990er Jahren die Produktion eingestellt wurde, suchte man nach einem neuen Nutzungskonzept und fand es in einem Edelsteinmuseum. Doch das funktionierte nicht lange. Glücklicherweise hörte der portugiesische Industrielle Joao Manuel Magalhaes von der Pleite, der schon lange nach einem Ort für seine umfangreiche Oldtimersammlung suchte. Vor fünf Jahren zog er mit seinen rund 100 historischen Fahrzeugen - das älteste aus dem Jahr 1887 - hier ein und begeistert seitdem nicht nur große Jungs. Frauen brechen schon mal in Entzückensrufe aus, wenn sie vor dem schwarzen Mercedes stehen, der einst Elisabeth Taylor gehörte und dessen Kühlerhaube über und über mit Swarovskikristallen besetzt ist.

Das Automobilmuseum ist eines von rund 30 Museen, die es inzwischen in der Kulturstadt Malaga gibt. Dazu gehört auch das 2011 eröffnete Carmen-Thyssen-Museum, in dem Malerei des 19. Jahrhunderts gezeigt wird, und die im März 2015 fertiggestellte Dependance des Russischen Museums in St. Petersburg. Noch in diesem Jahr soll nach 17-jähriger Schließung auch das Museum der Schönen Künste wiedereröffnet werden.

Ein Museum ist gewissermaßen auch die Bodega »La Odisea« im Stadtteil Coracha an der ehemaligen Stadtmauer, von der hier leider nichts mehr zu sehen ist. Einzig das Gasthaus klebt wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit am Hang. Die Besitzer hatten sich Ende der 1990er Jahre mit allen Mitteln und letztlich erfolgreich gegen den Abriss gewehrt. Alle anderen Gebäude wie auch die alte Stadtmauer mussten einer Schnellstraße weichen - was die jetzigen Stadtväter längst bereuen.

Heute serviert der 34-jährige Juan Jesus Ortega Ruiz im Haus seiner Vorfahren traditionelle Gerichte der Region und süffige Malagaweine. Ein besonderer Schatz verbirgt sich im schattigen Innenhof - ein etwa zwei Meter tief in den Fels geschlagener schmaler, kaum mannshoher Tunnel. »Es ist der letzte in Malaga«, erzählt Juan. »Alle Häuser an der Stadtmauer hatten solche Tunnel, in denen sich die Bewohner vor den mörderischen Francotruppen versteckten.«

Wer so einen Tunnel besaß, konnte von Glück reden. Denn mit dem Einmarsch der Nationalisten 1937 in die Stadt wurden die Einwohner und die Flüchtlingsströme auf der Küstenstraße massiv beschossen. Rund 10 000 starben bei diesen Massakern. Bis zum Ende der Franco-Diktatur blieb Malaga Garnisonsstadt. Ein dunkles Erbe, das nicht vergessen ist, aber nun endlich abgeschüttelt werden konnte.

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