Tendenziell zynisch

Der Liedermacher Götz Widmann gastiert wieder im SO 36 - und kündigt ein Wunschkonzert an

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

»Nach zwei Jahren mit Band freue ich mich auf die unglaubliche Freiheit, die so ein Auftritt ganz alleine mit sich bringt.« Seit vergangener Woche ist Götz Widmann wieder auf Tour. Der Liedermacher will seine Konzerte, die ihn durch so ziemlich alle Teile der Republik führen, nun ganz frei gestalten: Ein Programm hat er nicht, Liedwünsche sind möglich. »Ich habe für diese Tour über 100 Songs eingeprobt«, berichtet der 50-Jährige. Über die ersten Konzerte und seine selbstverordnete Spontaneität sagt er: »Es macht so viel Spaß wie noch nie.«

Das will was heißen, denn Spaß hat Götz Widmann sicherlich schon viel auf Bühnen gehabt. Er ist längst eine der wichtigsten Figuren in der deutschen Liedermacherszene. Mitte der 90er fing er an, ein kleines Liedermacherfestival in Kevelaer, nicht weit von der niederländischen Grenze, zu organisieren. Da war er noch Mitglied des einflussreichen Duos Joint Venture. Mittlerweile heißt sein Festival »Adriakustik« und findet in größerem Format jährlich in Deutzen bei Leipzig statt.

Stilistisch ist Widmann ein Liedermacher der rockigen Sorte, stimmlich wie musikalisch. Textlich oft auch. Nach wie vor singt er relativ viel und lax über Alkohol und Dinge, die ihn nerven. Als vulgär bezeichnet zu werden, stört ihn nicht - das bekommt auf seinem letzten Album eine »Gudrun vom Feuilleton« im gleichnamigen Lied in Ohrwurmqualität zu hören.

Das Album »Krieg & Frieden« enthält viele Kommentare zum Zeitgeschehen. Ein »armer amerikanischer Spion« wird bedauert, weil er beim Abhören des Volkes so viele Belanglosigkeiten mitkriegt. In »Für euch« kritisiert Widmann das politische Desinteresse der jungen Leute, in »Politik« hingegen rechnet er mit diesem Berufsfeld ab, das von persönlichen Interessen bestimmt sei (»Wofür gibt es Parlamente? Für meine Rente.«).

Widmann singt also über Politikverdrossenheit - zum Teil offensichtlich ironisch, zum Teil aber auch nicht. Wie ist das gemeint? »Das Schlimme ist: Vor zehn Jahren habe ich noch relativ intensiv parteipolitische Gespräche mit Freunden geführt, wo es darum ging: Welche Parteien kommen an die Macht, und was ändern sie?«, erzählt der in Köln lebende Musiker. »Mittlerweile hab ich kapiert, dass unsere Welt von Konzernen regiert wird und dass es eigentlich fast gleichgültig ist, welche Partei gerade an der Macht ist.« Widmann bekennt sich nicht nur zur Parteien-, sondern auch zur Politikverdrossenheit.

Die Rolle des politisierenden Liedermachers will er ohnehin nicht einnehmen: »Wenn ich irgendwelchen Leuten was vorsinge, dann sind die vielleicht berührt davon, aber am nächsten Morgen um acht Uhr sitzen sie wieder vor ihrem Chef und sind mit einer vollkommen anderen Realität konfrontiert. Man kann ein bisschen dabei helfen, eine Meinung zu finden, aber letztlich ist der Einfluss zum Beispiel der Medien viel größer als der, den man so als Künstler hat. Man sollte auf jeden Fall die Dinge, die man verändern will, in seine Lieder packen, aber nicht mit einem messianischen Anspruch antreten. Es gibt so peinliche politische Lieder.«

Widmann erzählt, dass in den 80ern, im Anschluss an die Erfolge von Liedermachern wie Degenhardt und Mey, manche Leute zu kommerziellen Zwecken mit politischen deutschen Texten aufwarteten. »In mir ist da ein gewisser Widerwille übrig geblieben«, hält er fest. »Ich hasse simplen Applaus: Man stellt sich auf die Bühne und sagt irgendwas, das eh jeder gut findet und räumt dafür tosenden Beifall ab.«

Die tendenziell zynische Art ist Götz Widmann auf »Krieg & Frieden« sehr gut gelungen. Dass er aber auch in politischen Dingen lustig sein kann, zeigt das Lied »Proletarier sucht Frau« vom vier Jahre alten Album »Ahoi«. Dort stellt sich Widmann vor, wie wir heute leben würden, wenn die Sowjetunion den Kampf der Weltmächte gewonnen hätte: Ohne den »permanenten Kampf ums Überleben« könnten alle einen »Rosa-Luxemburger Bacon and Cheese« essen, Youtube hingegen »wäre von ganz oben kontrolliert, und garantiert so scheiße, dass es keinen interessiert«.

Zynisch oder lustig - beim Konzert im SO 36 kann das Publikum mitbestimmen.

16. Januar, Einlass 20 Uhr, SO 36, Oranienstr. 190, Kreuzberg, Karten 18 Euro.

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