nd-aktuell.de / 19.01.2016 / Politik / Seite 10

Die Wahrheit ist das Minimum!

Die Maya-Ixil fordern in Guatemala eine Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur

Knut Henkel
Die Vereinigung für Gerechtigkeit und Versöhnung setzt sich in Guatemala für die Rechte der Maya-Ixil ein. Sie war eine der Kräfte hinter dem Jahrhundertprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt.

Auf dem Konferenztisch liegt das dicke Buch mit der Silhouette einer indigenen Frau, die die Hand zum Schwur hebt, dahinter ist das Landeswappen und darunter der Kopf der Richterin Yassmín Barrios zu sehen. «Das ist unsere zweite Bibel», erklärt Juan Velasco mit stolzer Stimme. Das Buch enthält auf knapp 700 Seiten das Urteil des Jahrhundertprozesses gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt. Der General und protestantische Laienprediger hat Guatemala vom 23. März bis zum 8. August 1983 diktatorisch regiert und wurde im Mai 2013 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu achtzig Jahren Haft verurteilt. Doch viel wichtiger als der Schuldspruch, der später wegen angeblicher Formfehler wieder aufgehoben wurde, ist die Tatsache, dass erstmals in der Geschichte die systematische Verfolgung der Maya-Ixil nicht geleugnet wurde.

«Für alle Guatemalteken war in diesem Prozess klar zu erkennen, dass die Armee alles daran gesetzt hat, unser Volk auszulöschen», erklärt Don Tíburcio Utuy. Der 73-Jährige ist einer der mehr als 100 Zeugen, die damals aussagten und er gehört zu denjenigen, die besonders detailliert schilderten, wie die Armee gegen die indigene Ethnie der Maya-Ixil vorging: Dörfer überfiel, die Bewohner massakrierten und dabei keinen Unterschied zwischen Männer, Frauen, Kindern und Alten machten. «Ich habe gesehen, wie Frauen der Bauch aufgeschnitten und dem ungeborenen Baby der Kopf zertrümmert wurde», erklärt der drahtige Mann. Utuy gehört zu den Gründern der AJR, der Vereinigung für Gerechtigkeit und Versöhnung. Die hat ihren Sitz in Nebaj, der Provinzstadt im Norden Guatemalas, die als Eingangstor in das Siedlungsgebiet der Maya-Ixil gilt.

Die Ethnie zählt rund 100 000 Menschen, die auf mehrere Dutzend Dörfer wie Xix verteilt sind. Dort lebt Don Tíburcio Utuy, doch auch ins Büro nach Nebaj kommt er noch regelmäßig, um zu erzählen, was in Xix damals passiert ist: «Unsere Jugend muss wissen, was hier passiert ist. So etwas darf sich nie wiederholen und deshalb ist die historische Wahrheit für uns Ixil immens wichtig.»

Dafür engagiert sich der mittelgroße Mann mit den optimistisch funkelnden Augen und sein Beispiel hat Schule gemacht. Heute sprechen viele der Zeitzeugen, geben ihre Erinnerungen an die dunkelsten Jahre ihres Lebens preis. «Anders als früher trauen sie sich nun vor Gericht aufzutreten, auszusagen und Interviews zu geben», erklärt Juan Velasco. Der 51-jährige kleine Mann ist der Koordinator der AJR und regelmäßig in den Dörfern unterwegs, um mit Zeugen zu sprechen, mit ihnen ihre Aussagen durchzugehen und sie zu beraten.

Das macht Velasco nicht allein, denn um die Frauen kümmert sich seine Kollegin Magdalena Matóm. Die berät auch die 29-köpfige Frauengruppe «Flor de Maguey» und hat alle Zeugenaussagen dieser Frauen niedergeschrieben. Alle wurden von den Soldaten, die ab Beginn der 1980er Jahre die Ixil mit dem Ziel verfolgten, die Ethnie auszulöschen, weil sie im Verdacht stand mit der Guerilla zu sympathisieren, vergewaltigt. Einige einmalig, andere von mehr als dreißig Soldaten und wieder andere lebten gefangen als Sexsklavinnen in Armeecamps.

Keiner dieser Fälle wurde bisher en détail rekonstruiert, aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. «Unstrittig ist, dass die Soldaten freie Hand hatten. Es gab einen Befehl von Ex-Diktator Efraín Ríos Montt. Demnach konnten die Soldaten mit uns Ixil-Frauen machen, was sie wollen», erklärt Cecilia Vacana Galego mit fester Stimme. Die 49-jährige Frau lebt in einfachsten Verhältnissen mit ihren vier Kindern und ihrer Mutter nahe der Kaserne von Nebaj in einem Armenviertel. Als Wäscherin und Weberin verdient sie ihren Lebensunterhalt und hat schon im Jahrhundertprozess gegen Putschgeneral Efraín Ríos Montt ausgesagt. Das will sie wieder tun. Doch diesmal gegen die verantwortlichen Militärs und dazu laufen in Guatemala die Vorbereitungen. Sowohl in Guatemala-Stadt, wo sich die Staatsanwälte genauso wie die zuständige Richterin Yasmín Barrios auf den Prozess vorbereiten, der im April 2016 stattfinden soll, als auch in Nebaj. Dort leben einige der Frauen, deren Aussagen Licht in das Dunkel der systematischen Vergewaltigung und Erniedrigung der Ixil-Frauen, bringen sollen, andere in Chacalté, Xix oder Chel. So heißen einige der Dörfer, die von der Armee verwüstet wurden, wo gemordet und vergewaltigt wurde. Doch die systematische Gewalt gegen Frauen ist bisher in Guatemala kaum ein Thema gewesen und das soll sich mit dem Prozess ändern. «So etwas darf sich nie wiederholen, erklärt Cecilia Vacana Galego und blickt vielsagend ihrer halbwüchsigen Tochter hinterher. Eine Devise, die auch der AJR-Mitgründer Tíburcio Utuy angetrieben hat. Mit jedem Prozess kommt der AJR dieser Devise einen Schritt näher.