Sehnsuchtsort Freiheit

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt »Kunst aus dem Holocaust«

Eine neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum von Berlin zeigt »Kunst aus dem Holocaust – 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem«. »Jedes dieser Werke ist ein lebendiges Zeugnis aus dem Holocaust.«

Ein zarter gelber Schmetterling auf grobem Stacheldraht, dahinter dunkle Baracken und am Horizont, gleichsam als Sehnsuchtsort, Freiheit verheißend, die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen. An diesem Bild haben zwei Künstler gewirkt: Karl Robert Bodek, geboren 1905 in Czernowitz/Bukowina, 1942 in Auschwitz-Birkenau ermordet, sowie Kurt Conrad Löw, 1914 in Wien auf die Welt gekommen und dort auch 1981 verstorben. Das Bild entstand 1941 im Internierungslager Gurs in Südfrankreich, wohin es die beiden jüdischen Flüchtlinge verschlagen hatte, den einen aus der deutsch-okkupierten Sowjetunion, den anderen aus dem »Heim ins Reich«-annektierten Österreich. Bodek, von Haus aus Fotograf, und der gelernte Textilgestalter Löw malten in Gurs für ihre Leidensgefährten Grußkarten, auf dass sie Angehörigen oder Freunden durch das Rote Kreuz eine Nachricht zukommen lassen konnten. Gemeinsam entwarfen sie auch Bühnenbilder für das Häftlingskabarett in Gurs.

Am Vorabend des diesjährigen Internationalen Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus wurde im Deutschen Historischen Museum in Berlin die Ausstellung »Kunst aus dem Holocaust« eröffnet, »die bis dato umfangreichste Präsentation von Kunstwerken aus Yad Vashem, die außerhalb Israels gezeigt wird«, wie DHM-Präsident Alexander Koch mitteilte. Die hundert im Pei-Bau zu sehenden Arbeiten stammen aus verschiedenen Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern sowie Ghettos. »Jedes dieser Werke ist sowohl ein lebendiges Zeugnis aus dem Holocaust als auch Bekräftigung eines unbeugsamen, menschlichen Geistes«, sagte der aus Israel angereiste Direktor von Yad Vashem, Avner Shalev. Die überwiegend grafischen Blätter, darunter einige nicht einmal handflächengroß, aber auch Aquarelle und etwa ein halbes Dutzend Ölgemälde entstanden unter unmenschlichsten Bedingungen, in einer Kunst abholden Umgebung und im Geheimen, verborgen vor den Augen der SS. Sie reflektieren Verzweiflung, Entsetzen und Seelenpein angesichts der Gewalt, des Elends, des vielfachen Sterbens. Sie zeugen ebenso vom Mut und Willen zu überleben. Und wenn sie auch selbst nicht überleben würden, so werden die Bilder überdauern und die Verbrechen und Verbrecher anklagen. Hofften die Künstler. Ob Porträts, Landschaftsbilder oder Stillleben - ihre Werke waren ein Akt der Selbstbehauptung, des Widerstandes, der Auflehnung gegen Apathie und gegen Unmenschlichkeit.

Den Anfang macht ein Gemälde von Felix Nussbaum, 1904 in Osnabrück geboren und 1944 in Auschwitz-Birkenau umgekommen. »Der Flüchtling« entstand 1939 im Brüsseler Exil. In einem kahlen Raum, der wie eine Gefängniszelle wirkt, sitzt ein Mann, gramgebeugt, die Hände vors Gesicht geschlagen. Einziger Gegenstand auf dem langen, hölzernen Tisch ist ein großer, düsterer Globus. Die Tür steht zwar offen, doch der Blick fällt auf eine unwirtliche Welt, eine Ödnis mit zwei verdorrten Bäumen, darauf drohend schwarze Vögel. Vorahnung des Todes. Fast optimistisch wirkt dagegen das Gemälde von Zvi Hirsch Szylis, »Kinder im Ghetto«. Als Leinwand musste der Jutestoff eines Kartoffelsacks herhalten, die Farben mischte sich der die Hölle von Litzmannstadt/Łódź selbst durchleidende Künstler aus Anilin. Durch den grün-blauen Nebel huschen Jungen und Mädchen in blütenweißen Hemdchen.

Zahlreich vertreten sind Zeichnungen, die prügelnde SS-Männer zeigen. Jacob Libschitz, 1903 geboren und 1945 in einem Lager in Bayern gestorben, hielt den von Peitschenhieben zerfetzten Rücken seines Bruders Gedaljahu fest. Von den in dieser Schau vertretenen 50 jüdischen Künstler überlebten nur 24 die Shoah, erläuterte die Kuratorin Eliad Moreh-Rosenberg von Yad Vashem. Sie wird übrigens am 27. Januar Interessierte bei freiem Eintritt durch die Ausstellung führen.

In der Londoner Emigration schuf Ludwig Meidner 1939 das Blatt »Zur Erinnerung an die Zerstörung unserer Synagogen in Deutschland«. Die Kohlezeichnung zeigt zwei Rabbiner, einer bückt sich, um eine zerbrochene Thorarolle aufzuheben, der andere, stehend, bedeckt in Trauer eine Gesichtshälfte. Hinter den beiden Männern sind brennende Ruinen zu sehen, in der linken Bildhälfte schreibt eine geheimnisvolle Hand die Prophezeiung Daniels an die Wand - eine Erinnerung an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem und ein Gleichnis: Wie das Babylonische Reich, so wird auch das »Dritte Reich« untergehen. Besonders berührend das Bild »Gebet«, Tinte auf Papier. Zu sehen ist in einem ärmlichen Zimmer ein Mann, gekleidet in traditioneller chassidischer Tracht, um den Hals einen Talit (Gebetsschal). Der Mann wirft einen Schatten auf die Wand, von der Putz bröckelt. Das Blatt stammt von Abraham Koplowicz, genannt Abramek. Er war 13, als er den betenden Mann in Litzmannstadt zeichnete. Ihm war von deutschen Judenmördern nur noch ein Jahr beschieden, 1944 starb er in Auschwitz-Birkenau im Gas, wie zuvor seine Mutter. Der Vater entdeckte nach der Befreiung auf dem Dachboden eines Hauses in Łódź das Bild samt einem Notizbuch mit Gedichten aus der Feder seines einzigen Kindes, dem deutsche Antisemiten das Leben nahmen. Was für ein großer Künstler hätte aus Abramek werden können?

Kunst aus dem Holocaust - 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem, Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis 3. April, tägl. 10-18 Uhr, 8 €/4 €.

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