Viel zu viel verbale Schwere

Uraufführung in der Staatsoper im Schillertheater: »Mord an Mozart - Eine relative Vernichtungstheorie«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie so oft: Die Bühne ist schon einsehbar, bevor das Stück losgeht. Keinen Graben braucht es, alle Musik kommt von oben. Roman Trekel, der Salieri, sitzt vorn am Schreibtisch, tief gebeugt, mit dem Rücken zum Publikum. Mozart, wo ist der? Stephan Rügamer in verspielt barocken Plünnen kräpelt irgendwo. Es wird mehr Licht, die Szene regt sich, der Prolog hebt an. Plötzlich taucht der Lichtmensch auf wie der Kasper im Kasperletheater und tippt hinten auf der die Bühne durchschneiden schiefen Ebene Noten auf dem Spielzeugklavier. Welch heiterer, lieblicher Seegen. Und welch vollendet strukturierte Bühne mit ihren Subbühnen, deren Balkenwerk karoförmig hochragt. Das Metronom tickt unerbittlich, solange Mozarts Variationen auf Motive aus Salieris Oper »La fiere di Venezia« erklingen.

Weitere geschäftige Figuren musizieren dies solitäre Stückchen mit. Max Renne am ollen Klavier rechts außen, das später zweckentfremdet eine alte eiserne Schreibmaschine tragen muss. Am Flügel auf dem Podest links ein Herr in Schwarz, Andreas Heger, der später weit schwerere Aufgaben stemmen muss. Ach wie neckisch, der Akkordeonist Valentin Butt - jener Mann, der die originellste Farbe der Mordgeschichte beigibt - fügt sich mit fremd klingenden Tönen und Akkorden ein, sekundiert vom Vibraphonisten Johannes Graner, der leider viel zu wenige Auftritte hat. Zwei Instrumente, die Mozart nie gebrauchte oder noch nicht kannte, die ihm aber freilich heute am Herzen liegen würden. Und ein Tableau, so bezwingend, dass der Glaube an jenen »Mord an Mozart«, den das Stück vor sich herträgt und mit ihm auf Abwege gerät, zu schwinden scheint.

Aber bereits in diesem Prolog, »Tasten-Variationen« genannt, gehen die Probleme der Inszenierung los. Die Produktion sei noch auf dem Wege, so die Aussage der Macher vorweg per Programmzettel. Open Performance. Abschnitte seien noch in diesen Tagen verändert, umgestellt worden. Das hört sich zunächst gut an und lässt vermuten, dass die Einfälle, diesen »Mord an Mozart« ins Bild zu setzen, noch nicht erschöpft sind. Andererseits versteckt die Aussage Unsicherheit.

Nun ist die Arbeit auf der großen Bühne des Schillertheaters verwirklicht worden. Als Uraufführung. Und blieb Stückwerk, teils sogar der peinlichen Sorte. Noch die verlockendsten Aufgebote von Musikern, Sängern und Darstellern und die Präsentation edelster Programmhefte mit ihren oft genug gestelzten Musiktheater- und sonstigen -Philosophien nützen nichts, ist das konkrete Resultat unausgegoren, langweilig und sentimental.

Das Problem fängt bereits beim Untertitel an. Wer hat sich den bloß einfallen lassen? »Eine relative Vernichtungstheorie«. Nichts wird vernichtet. Es gibt auch keine Theorien hierfür im Stück, nicht bei Freud und Einstein, nicht bei Dostojewski, welche mit existenziellen anthropologischen Aussagen über individuelle Gelüste bei Krieg und Gewalt und deren Gegenteil bemüht werden - die große Schauspielerin Angela Winkler (Titelrolle in »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« nach Böll) trägt sie pathetisch vor, begleitet von tragischen Piecen Mozarts und Schostakowitschs -, sondern Vernichtung wird besungen.

Einsteins berühmte Formel wird im Grund verballhornt. Die Autoren Annika Haller, Elisabeth Stöppler, Max Renne und Jens Schroth lassen den Physiker sogar selbst auftreten, als Geige spielenden blinden, grauen Juden mit struppigem Kopf, ohne Judenstern.

Die Passagen aus dem »Großinquisitor« Dostojewskis verstören weder, noch passen sie zur Geschichte. Es sei denn, ein universeller Gedankenschirm solle sich drüber ausbreiten. Der aufs Genialische seines Widerparts eifersüchtige Salieri, wie ausdrucksvoll er singt, verabreicht Mozart das Gift und stirbt (und muss hernach ewig darniederliegen). Desgleichen endet der Mörder durch den Apfel, den Mozart wie ein Kind ins Rollen bringt und den Salieri frisst. Darüber Rimski-Korsakowsche dramatische Klänge aus seiner Puschkin-Vertonung »Mozart und Salieri«.

Aber all das ist zu wenig. Viel zu viel verbale Schwere belastet das Stück. Ein Irrtum der Regisseurin Elisabeth Stöppler, im Programmbuch zu sagen, Mozart hätte auf Gesetz und Form gepfiffen und aus überbordender Kreativität ohne Zweckmäßigkeit und Berechnung agiert. Das ist grundfalsch. Mozart hat Formen überhaupt nicht umgewälzt, er hat sie allerdings - Gesetzen folgend - intern radikal erneuert. Anders gesagt: Er hätte dem Einerlei der Postmoderne, die hier waltet, ins Gesicht gespien. Nach modernem Geschmack hätte das Stück streng in achttaktigen Perioden mit all den Mozartschen Turbulenzen, zuzüglich den Salierischen Anachronismen darin, inszeniert werden können, ja müssen, um es einmal etwas schnodderig zu sagen.

Das Befremdlichste: der Schluss »Epilog: Requiem-Filtrage«, worin allesamt mit dem hinten postierten Orchester (Leitung Max Renne) sich irgendwie ausagieren und die gesamte Bühne als Videofläche fungiert. Hier kommt der Komponist und Inszenierungsberater David Robert Coleman zum Zuge, der bei seiner Verwurstung des Mozartschen Requiems derart abgefeimt vorgegangen sein muss, dass es passfähig wurde. Passfähig vor riesig prangenden Fotos mit dem Atompilz von Hiroshima und einer Angela Winkler mit biblisch langem Stock, die wie eine bucklige gelangweilte Predigerin die Bühne durchstreift. Ein Panorama, so rund und schön und sentimental gestaltet, dass einem das kalte Grausen kommt.

Nächste Vorstellungen: 30. Januar, 2., 4., 7. und 13. Februar

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