• Berlin
  • Sommerklausur der Grünen

Die Klimaschraube anziehen

Die Grünen-Fraktion will Berlin in nicht weniger als 15 Jahren klimaneutral machen

  • Nicolas Šustr, Prag
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich will vom Fernsehturm auf glitzernde Dächer heruntergucken«, sagt Silke Gebel, Chefin der Abgeordnetenhausfraktion der Grünen bei der Sommerklausur in der tschechischen Hauptstadt Prag. Glitzern sollen Solarzellen und Sonnenkollektoren, denn »wir sehen den Klimanotstand«, wie Gebel erklärt. Eigentlich müssten die Klimaziele - eine 85-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen des Basisjahrs 1990 schon 2035, statt wie bisher angepeilt, erst 2050 erreicht werden, um die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, heißt es in dem Beschlusspapier der Fraktion. Zudem müssten es wohl eher 95 oder gar 100 Prozent Reduktion sein, glauben die Abgeordneten der Ökopartei.

Erreicht werden soll das Ziel unter anderem mit einem Erneuerbare-Wärme-Gesetz nach dem Vorbild Baden-Württembergs, das bei Erneuerungen von Heizungsanlagen einen Anteil klimaneutraler Wärmequellen vorschreibt. Es gibt zahlreiche Fallstricke bei der Umsetzung, wie eine Evaluation des bereits einmal novellierten Gesetzes des südwestlichen Bundeslands zeigt. Veit Bürger vom Öko-Institut Freiburg berichtet bei der Klausur, dass er über die Jahre einen »schleichenden Tod der Solarthermie« beobachten musste, weil sie im Vergleich zu anderen im Gesetz eingeräumten Möglichkeiten »immer unattraktiver« werde.

Weitere Beschlüsse der Klausur

Angesichts des 30. Mauerfalljubiläums, das in diesem Jahr gefeiert wird, will die Berliner Grünen-Fraktion die »Emanzipation fortführen in Ost und West« und die neue Spaltung der Gesellschaft, wie sie mit den Erfolgen der AfD offenbar wurde, überwinden. Deshalb unterstützt die Grünen-Fraktion auch das Unteilbar-Bündnis, das unter anderem am 24. August in Dresden auf die Straße gehen will, um eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen Front gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft zu machen.

Damit es beim Klimaschutz vorangeht, fordern die Grünen unter anderem die Solarpflicht, eine City-Maut und ein entschiedenes Vorangehen bei der energetischen Sanierung von landeseigenen Bauten.

Touristen in Berlin könnten nach einem Vorschlag der Grünen durch ein Pflichtticket den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stärker mitfinanzieren. Bei Touristen, die in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen übernachten, könnte eine solche Pauschale anfallen und ebenso bei übernachtenden Geschäftsreisenden, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Daniel Wesener. Im Gegenzug könnten sie Bus und Bahn frei nutzen.

Angesichts des Klimawandels sollen Grünflächen gesichert und ausgebaut werden, mehr Geld in den Unterhalt der Flächen fließen. nic

Generell müsse die energetische Sanierungsrate von Gebäuden von derzeit 0,9 Prozent des Bestands pro Jahr auf rund 2,6 Prozent erhöht werden, heißt es bei der Grünen-Fraktion. »Die soziale Frage bei der energetischen Sanierung ist nach wie vor noch nicht beantwortet«, sagt Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger. »Klar ist, über den Mietendeckel werden wir die Sanierungsrate nicht erhöhen«, räumt sie ein und fordert höhere Subventionen dafür.

Ihr Baukollege Andreas Otto ist prinzipiell bei ihr, rechnet allerdings vor, dass bei 50 000 Wohnungen, die das jährlich beträfe, eine halbe Milliarde Euro Haushaltsmittel pro Jahr aufgebracht werden müssten, um eher niedrig angesetzte 10 000 Euro pro Wohnung Förderung zu geben. »Die vermeintlich simple Frage ›wer bezahlt?‹ stellt sich insgesamt«, räumt der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Daniel Wesener, ein. In dieser Frage ist also noch ein Weg zu gehen, bis das von Ko-Fraktionschefin Antje Kapek ausgegebene Motto, die Vorschläge der Grünen müssten »radikal und möglich« sein auch umgesetzt werden kann.

Vergleichsweise unproblematischer scheint da die geforderte Solarpflicht für Neubauten zu sein, also Photovoltaik oder Solarthermie. Beim Verkehr soll das Gebiet innerhalb des S-Bahnrings bis 2030 zur Nullemissionszone werden, Fahrzeuge, die mit fossilen Treibstoffen fahren, ausgesperrt werden. Umwelt-, Verkehrs- und Klimasenatorin Regine Günther (Grüne) zeigt, dass sie bei letzterem Thema richtig brennen kann. »Wenn wir so weitermachen reden wir nicht über 1,5 oder 2 Grad Erwärmung«, sagt sie und warnt vor den Folgen. Die Überflutung ganzer Landstriche, Wassermangel und Hunger bedrohten Milliarden Menschen, zeigt sie in einer selbst gemachten Präsentation. »Der Vorgeschmack für Berlin ist der Sommer 2018, aber da endet es nicht. Es kann auch 43, 48 oder 53 Grad heiß werden«, erklärt sie am Freitagnachmittag, während die Hauptstadt gerade erneut von Starkregen heimgesucht wird. »Wir haben bei vielen Dingen den Hebel umgelegt«, sagt sie für ihr Ressort. Doch gerade auf den Straßen ist bisher kaum etwas angekommen, bis jetzt wurden vor allem die Rahmenbedingungen angepasst.

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Wirtschaftssenatorin Ramona Pop recycelt umweltfreundlich die Folien ihrer Halbzeitbilanz und verweist auf die durch Rot-Rot-Grün »entfesselten« Stadtwerke, die beim Thema Solarzellen schon ein bedeutender Player in Berlin geworden sind. Pop muss sich von Realos Kritik dafür gefallen lassen, dass sie mit der Solarpflicht für Neubauten in den Medien vorgeprescht ist. Sie erklärt auf Nachfrage, ob es dazu Vorarbeiten in ihrer Verwaltung gab, dass sie ja gar nicht dafür zuständig sei.

Auf der ansonsten konfliktfrei wirkenden Klausur blitzt für einen Moment auf, dass die Lager sich langsam für den 2021 anstehenden Wahlkampf und die Spitzenkandidatenfrage warmlaufen. Doch zunächst werden sie die Kräfte darauf konzentrieren, möglichst viel von den Klimazielen in der Koalition durchzusetzen.

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